Börsen-Zeitung: Sorglosigkeit der Anleger, Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn

Der Dax eilt derzeit von Jahreshoch zu
Jahreshoch. Zeitweise hat er sich bis auf 10743 Punkte vorgearbeitet,
womit er für 2016 die Verlustzone verlässt. Gegenüber dem
Verlaufstief unmittelbar nach der Brexit-Entscheidung von 9214
Punkten hat der Index mittlerweile 1500 Zähler zugelegt. Von den
Sorgen hinsichtlich der Gefahr eines konjunkturellen Absturzes
aufgrund der britischen Entscheidung für einen EU-Austritt ist nichts
mehr zu spüren.

Selbst an der Londoner Börse wird die Lage mittlerweile positiv
eingeschätzt. So weist nicht nur der FTSE 100, in dem international
aufgestellte Unternehmen dominieren, ein sattes Jahresplus von fast
11% auf. Auch der FTSE 250, in dem deutlich mehr auf den
britischen Markt ausgerichtete Unternehmen vertreten sind, erreicht
mittlerweile einen leichten Anstieg gegenüber dem Stand vom
Jahresanfang von knapp 3%.

Damit stellt sich die Frage, ob die Lage an den Märkten nicht viel
zu positiv eingeschätzt wird und ob der Risikoappetit der Anleger
nicht inzwischen zu groß geworden ist. Von den Bewertungen her sieht
es nicht nach Übertreibungen am Aktienmarkt aus. Der Dax kommt auf
Basis der Konsensschätzung für die kommenden zwölf Monate auf ein
Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 12,3. Der EuroStoxx 50 erreicht
12,9. Damit befinden sich die Bewertungen noch lange nicht am oberen
Rand der Spanne der vergangenen fünf Jahre.

Dünne Luft an Wall Street

Für den US-Markt, der aktuell von Allzeithoch zu Allzeithoch eilt,
sieht das anders aus. Mit einem KGV von 16 für den Dow Jones
Industrial beziehungsweise von 16,8 für den S&P500 ist an der Wall
Street die Luft dünn geworden. Der Dax hingegen ist noch weit von
seinem Allzeithoch von 12391 Punkten entfernt. Und die
durchschnittliche Dividendenrendite im Dax von 3,1% sieht gegenüber
der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen von -0,1% ausgesprochen
attraktiv aus. Man könnte somit – um einen der Lieblingssätze der
früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher zu bemühen –
für Anleger somit von einer TINA-Situation sprechen: „There is no
alternative.“

Allerdings gibt es auch eine ganze Reihe von Argumenten dafür, als
Anleger mittlerweile äußerste Vorsicht walten zu lassen. So sind
beispielsweise die Handelsvolumina selbst für eine Ferienzeit
ausgesprochen dünn, der Höhenflug ist also kaum untermauert. Der
September ist ferner traditionell der schlechteste Börsenmonat für
den Dax. Im Schnitt hat sich der Index seit dem Jahr 1960 im
September einen Verlust von 1,5% eingefangen.

Was den noch auszuhandelnden und zu vollziehenden Brexit betrifft,
so wird derzeit am Aktienmarkt ein Szenario eingepreist, gemäß dem
sich wirtschaftlich für Großbritannien nicht sehr viel ändern wird.
Die Analysten der DZ Bank sprechen in diesem Zusammenhang von einer
„immensen Sorglosigkeit“. Neben der politischen und ökonomischen
Perspektive Großbritanniens sehen sie noch weitere politische
Risiken, die es einzupreisen gilt: Sie verweisen auf die
amerikanische Präsidentschaftswahl, die Misstöne im Verhältnis mit
der Türkei und die Russland-Sanktionen, das für den Herbst anstehende
Verfassungsreferendum in Italien sowie die Wahlen in Frankreich und
in Deutschland.

Nach der unerwarteten Brexit-Entscheidung erscheint es geradezu
fahrlässig, davon auszugehen, dass sich alles zum Vorteil der
Kapitalmärkte entwickelt. Bei der Commerzbank verweist man in diesem
Zusammenhang darauf, dass der von Marktteilnehmern nicht besonders
geschätzte amerikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump
keineswegs so chancenlos ist, wie es aktuell erscheinen mag. So seien
die landesweiten Umfragen in der Vergangenheit nicht unbedingt ein
guter Indikator für das spätere Wahlergebnis gewesen. Es könne auch
ein Kandidat Präsident werden, wenn er landesweit weniger Stimmen
erhält als ein Mitbewerber. Zudem könnte es auch auf die weiteren
Kandidaten ankommen, die Stimmen von den beiden Favoriten abziehen.

Unausgegorenes Konzept

Sollte Trump Präsident werden, so ist es vor allem sein jüngst
vorgestelltes völlig unausgegorenes wirtschafts- und
steuerpolitisches Konzept, von dem die größten Gefahren für die
Märkte ausgehen. Zwar haben politische Börsen meistens kurze Beine,
im Fall Trump sollte man sich darauf allerdings nicht unbedingt
verlassen.

Somit spricht einiges dafür, dass die aktuelle Rally an den
Aktienmärkten in Kürze schon wieder vorüber sein dürfte und dass eine
kräftige Korrektur die Marktteilnehmer der Realität näherbringt.

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