Börsen-Zeitung: Stress für Aktien, Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn

Zumindest aus Sicht der Marktteilnehmer ist der
Stress durch die Stresstests vorüber. Ausgefallen sind die Ergebnisse
der Prüfungen wie erwartet: Einige wenige Institute, darunter ein
paar spanische Sparkassen und die deutsche Hypo Real Estate, sind
durchgefallen, alle anderen haben bestanden. Damit fällt ein
Belastungsfaktor für europäische Aktien, aber auch für einige andere
Märkte weg.

Profitieren sollte davon in erster Linie der Euro, der sich in den
vergangenen Tagen von dem am Montag erreichten Zweimonatshoch wieder
entfernt hatte und recht lustlos vor sich hin dümpelte, weil sehr
viele Marktteilnehmer lieber abgewartet haben und keine Risiken
eingegangen sind. Der Euro dürfte auch von den Äußerungen des
Chairman der amerikanischen Notenbank, Ben Bernanke, gestützt werden,
der bei seinem Auftritt vor dem Kongress klargemacht hat, dass die
konjunkturelle Lage in den USA „äußerst unsicher“ ist. Dies spiegelt
sich auch in den jüngsten Konjunkturdaten von jenseits des Atlantiks
wider, deren Ergebnisse man bestenfalls als durchwachsen
qualifizieren kann. So hat zuletzt auch der Index des
Verbrauchervertrauens des Conference Board deutlich stärker
nachgegeben als erwartet. Von einer „Weltkonjunkturlokomotive USA“
kann also derzeit keine Rede sein.

Zwar ist in einer ersten Reaktion auf die Bernanke-Äußerungen der
Euro und nicht der Dollar in die Knie gegangen. Letztlich dürfte die
Gemeinschaftswährung aber die Oberhand behalten. Denn in der Eurozone
weisen die kurzfristigen Zinsen am Interbankenmarkt stärker nach oben
als in den USA.

Hohe Exportabhängigkeit

Anders als beim Euro sieht es bei europäischen Aktien aus. Ihre
Perspektiven sind weniger gut. Insbesondere auch wegen der hohen
Exportabhängigkeit der deutschen Unternehmen ist das Kurspotenzial in
den kommenden Wochen mit Blick auf die in den USA wenig erfreuliche
konjunkturelle Lage sehr gering – da helfen auch die positiv
ausgefallenen Stresstests wenig. Und nicht nur in den Vereinigten
Staaten ist die Lage unsicher. So hat jüngst auch der chinesische
Einkaufsmanagerindex für die verarbeitende Industrie enttäuscht. Nach
unten weisen auch, wie die Analysten der Unicredit anmerken, die
Frühindikatoren für alle 31 Mitgliedstaaten der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Zuletzt hat sich das Sentiment der Anleger hinsichtlich der
Börsenwerte aus der ersten Reihe und der defensiven Titel zwar etwas
aufgehellt. Nach wie vor sind aber Nettoabflüsse aus Aktienanlagen zu
verzeichnen.

Die meisten Aktienstrategen sind auch skeptisch, ob die dem
Höhepunkt zustrebende Quartalssaison dem Markt einen nennenswerten
und vor allem nachhaltigen Kursschub geben kann. Immerhin legt in den
kommenden sieben Handelstagen ein gutes Drittel der Unternehmen aus
dem EuroStoxx50 seine Zahlen vor. Zwar hat die Ertragslage in den
ersten drei Monaten des Jahres positiv überrascht, was viele
Analysten veranlasst hat, ihre Erwartungen nach oben zu schrauben.
Auch haben in den vergangenen Tagen Konzerne wie BMW ihre Prognosen
deutlich nach oben korrigiert. Die Analysten der WestLB sind aber der
Auffassung, dass die Zahl der positiven Überraschungen bei den
Quartalsergebnissen ihren Höhepunkt überschritten hat und dass die
Unternehmen, allen voran die Zykliker, für das zweite Halbjahr eher
vorsichtige Ausblicke geben werden – was die schwierige
konjunkturelle Lage widerspiegelt.

Kein „Double Dip“

Allerdings gibt es auch Positives zu vermelden. Immerhin sind sich
fast alle Ökonomen einig, dass es keinen Double-Dip-Konjunkturverlauf
geben wird, also kein erneutes Absinken in die Rezession. Dazu
erscheint die Konjunktur in der Eurozone zu robust. Außerdem brummen
die Geschäfte in wichtigen Schwellenländern wie China und Brasilien
immer noch – trotz der dort zu beobachtenden moderaten Abkühlung.

Für den Aktienmarkt heißt das, dass es keine Rally geben wird,
sondern leicht nachgebende oder bestenfalls seitwärts laufende
Kursniveaus. Der Stress durch die Stresstests mag vorüber sein, für
den Aktienmarkt ist hingegen immer noch keine Entspannung angesagt.

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