Börsen-Zeitung: Verzockt, Kommentar von Walther Becker zur EuGH-Entscheidung, das staatliche Glücksspielmonopol in Deutschland zu kippen

Gute Zeiten für Zocker. Nicht etwa, weil die
Pläne zur Einführung der Finanztransaktionssteuer vom Tisch wären, es
Erleichterungen beim Wetten mit Börsenmänteln gäbe oder der Dax über
6000 gestiegen wäre. Nein, viel profaner: Das staatliche Monopol für
Glücksspiel und Sportwetten in Deutschland ist unzulässig und gilt
nicht mehr. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden.

Zuletzt bewegte sich das Glücksspiel in Deutschland in einer
Grauzone. Nun stellen die höchsten EU-Richter zwar fest,
grundsätzlich dürfe ein Land freien Dienstleistungsverkehr und
Niederlassungsfreiheit beschränken. Voraussetzung sei aber, dass in
diesem Fall damit die Spielsucht bekämpft werde. Den Richtern, die
vor wenigen Wochen für die Niederlande ein gegenteiliges Urteil
gefällt hatten, ist die intensive Bewerbung des staatlichen
Glücksspiels ein Dorn im Auge. Dies widerspreche der Suchtprävention.
Dass staatliche Anbieter wie Oddset oder die Lotto-Gesellschaften auf
Online-Angebote verzichteten, hat da nicht verfangen. Die
Staatsmonopolisten haben sich verzockt.

Das Monopol gilt in der heutigen Form seit der Neufassung des
Glücksspielstaatsvertrages von 2007. Das Bundesverfassungsgericht
hatte dies für rechtens erklärt – mit der Einschränkung: Die
staatlichen Anbieter müssten beweisen, dass sie Spielsucht bekämpfen
und Prävention anbieten. Denn da trauten ihnen die „Roten Roben“ mehr
Verantwortung zu als den börsennotierten Online-Anbietern. Doch
hatten die Karlsruher Richter offenbar aufs falsche Pferd gesetzt.

Dass die Aktien des SDax-Mitglieds Tipp24 und der österreichischen
Bwin mit starken Aufschlägen von der Entscheidung aus Luxemburg
profitierten, verwundert nicht. Der private Online-Spielmarkt steht
ohnehin vor einer Neuordnung, die beflügelt wird von schleichender
Liberalisierung. So haben sich zwei führende Anbieter dieser bislang
eher in der Schmuddelecke angesiedelten Branche entschlossen, im
Rahmen einer Fusion unter Gleichen künftig auf einer Seite des
Tisches zu sitzen: Bwin und die britische Partygaming möchten sich
zum europäischen Marktführer im Geschäft mit Poker, Casino, Bingo und
Sportwetten per Internet aufschwingen. Gelingt dies, entsteht die
weltgrößte Online-Zocker-Gesellschaft in einem Markt, den die Akteure
auf 20 Mrd. Euro für 2012 schätzen. Die obersten Richter helfen dem
neuen Riesen nun auf die Sprünge.

(Börsen-Zeitung, 9.9.2010)

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