Börsen-Zeitung: Von Ruhe keine Spur, Börsenkommentar „Marktplatz“, von Christopher Kalbhenn.

Hoffnungen, dass nach den turbulenten Jahren
2011 und 2012 Ruhe an den Finanzmärkten einkehren könnte, dürften
2013 enttäuscht werden. Auch der laufende Turnus wird von erheblicher
Unsicherheit geprägt sein. Von Ruhe wird keine Rede sein können.
Marktteilnehmer müssen sich daher auch 2013 für plötzliche Umschwünge
wappnen, die die zurechtgelegten Strategien für das Jahr über den
Haufen werfen könnten. Dazu genügt ein Blick auf die aktuellen
Finanzmarktdaten und Ereignisse. Aufsehen erregend sind derzeit vor
allem die Ereignisse in Japan. Allein der Versuch der neuen
Regierung, mit einem Konjunkturankurbelungspaket und einer
erzwungenen Lockerung der allerdings bereits ultralockeren
Geldpolitik den großen Befreiungsschlag zu landen, wird Wellen
schlagen bzw. tut dies bereits. Die Erwartung dieser „Abenomics“
genannten Politik hat schon im Sommer 2012 begonnen, die japanische
Währung, die am Freitag erstmals seit zweieinhalb Jahren auf die
Marke von 90 Yen pro Dollar gesunken ist, unter Druck zu setzen. Um
bis zu 17% bzw. 28% ist der Yen seit dem Sommer gegen den Dollar und
den Euro gefallen, und der Nikkei ist unter Führung der Exportwerte
auf den höchsten Stand seit dem April 2010 gestiegen.

Japan wird damit eines der spannendsten Themen dieses Jahres.
Gelingt das Experiment von Premier Shinzo Abe, wird der Nikkei weiter
anziehen und der Yen weiter sinken. Letzteres würde erhebliche
Auswirkungen auf die globalen Kapitalströme haben, Wettbewerber wie
die Elektronikbranche in Südkorea und Taiwan oder die
Automobilhersteller und Maschinenbauer in Deutschland müssten sich
warm anziehen. Erweisen sich die Abenomics als Flop, endet die
Talfahrt des Yen, und auch diese Rally des Nikkei wird in einen
Rückschlag münden und ebenfalls als kurzlebiges Ereignis in die
Annalen eingehen. Es ist aber nicht nur die politische Veränderung
Japans, die den Yen drückt. Auch eine Veränderung in der
Stimmungslage an den Finanzmärkten trägt dazu bei. Seit die
Schuldenkrise entschärft worden ist, hat die Risikoaversion der
Anleger deutlich nachgelassen. Dadurch ist auch die Flucht in
Safe-Haven-Währungen zum Erliegen gekommen. Zu spüren bekommt dies
neben dem Yen auch der Schweizer Franken, der nun ebenfalls unter
Druck steht. Eben deswegen legt auch der eigentlich defensive
Schweizer Aktienmarkt, dessen Unternehmen unter der starken
Landeswährung leiden, derzeit überdurchschnittlich zu.

Auch einige von der risikofreudigeren Stimmungslage ausgehende
außergewöhnliche Signale deuten indes nicht gerade auf ruhige Zeiten
hin. So haben Volatilitätsindizes, an denen das Ausmaß von Angst oder
Sorglosigkeit an den Aktienmärkten abgelesen werden kann, Niveaus
erreicht, die zuletzt vor der Subprime-Krise Bestand hatten. Der
Index VIX der Chicago Board Options Exchange ist in der gerade
beendeten Woche auf den niedrigsten Stand seit dem Juni 2007
gesunken, der VDax der Deutschen Börse sogar auf das tiefste Niveau
seit dem Dezember 2006. Solche extrem niedrigen Werte der
Volatilitätsindizes sind häufig Vorboten turbulenterer Marktphasen.
Potenzielle Auslöser wie die Wahlen in Italien oder der US-
Haushaltsstreit stehen jedenfalls bereit.

Anders als die grotesk überteuerten „AAA“-Staatsanleihen und die
Unternehmensanleihen ist der Aktienmarkt indes noch weit von einer
beunruhigenden Blasenbildung und Euphorie entfernt. Die jüngst
registrierten, mit 7,5 Mrd. Dollar rekordhohen wöchentlichen
Mittelzuflüsse in US-Aktienfonds, deren Nachhaltigkeit sich erst noch
zeigen muss, ändern nichts an der Tatsache, dass große Teile der
Investorenschaft immer noch unterinvestiert ist. Vor allem sind die
Bewertungen der Aktienmärkte auch nach der Erhöhung der
zurückliegenden Monaten immer noch moderat. Auf Basis der
Konsensprognosen liegt das aggregierte Kurs-Gewinn-Verhältnis des Dax
bei rund 11. Gegen Rückschläge und Turbulenzen immun macht das den
Index jedoch nicht. Denn es muss sich erst noch zeigen, wie
realistisch die zugrunde liegenden Gewinnprognosen sind. Vor wenigen
Monaten noch bei 735 liegt die Konsensprognose für den aggregierten
Gewinn je Aktie nun bei 688 und bröckelt damit auch im neuen Jahr
weiter ab. Ob der Aufschwung des Aktienmarkts auf einer soliden Basis
steht, wird somit von der schwer prognostizierbaren Entwicklung von
Konjunktur und Unternehmensgewinnen abhängen. Neben politischen
Ereignissen haben damit in den kommenden Monaten auch die
Konjunkturdaten und die Ergebnisberichterstattung der Unternehmen das
Potenzial, heftige Marktturbulenzen auszulösen.

(Börsen-Zeitung, 19.1.2013)

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