Welche Symbolik! Der frühere IG-Metall-Chef und
Interimsaufsichtsratsvorsitzende Berthold Huber erteilt VW-Chef
Martin Winterkorn das Wort, um vor den Eigentümern des Konzerns
Rechenschaft abzulegen. Augenfälliger hätte die Zeitenwende nach dem
Rücktritt des langjährigen Aufsichtsratsvorsitzenden und früheren
Vorstandschefs Ferdinand Piëch nicht vorgeführt werden können. Die
Macht über den Volkswagenkonzern ist von den Familien Piëch/Porsche
zum Betriebsrat und dem Land Niedersachsen gewandert.
Zurückgewandert, muss man wohl sagen. Die Verhältnisse in Wolfsburg
scheinen jetzt wieder so wie vor 22 Jahren zu werden, ehe dort die
Ära Piëch begann und der Konzern den Aufstieg in die Spitzengruppe
der internationalen Autohersteller antrat – nicht nur volumen-,
sondern auch ertragsmäßig.
Über die neuerliche Zeitenwende kann die Wahrung der personellen
Kontinuität mit Winterkorn an der Vorstandsspitze nicht
hinwegtäuschen. Bezog Winterkorn bis vor wenigen Wochen seine
Autorität aus der vorbehaltlosen Unterstützung durch den „Alten“,
Ferdinand Piëch, ist er jetzt vom Wohlwollen des Betriebsrats und des
Aktionärs Land Niedersachsen abhängig. Wie will Winterkorn das
Margenproblem der Kernmarke Volkswagen vor diesem Hintergrund in den
Griff bekommen? Wie will er den Anspruch als Weltkonzern und bester
Autohersteller der Welt erfüllen, ohne auch die Investitionsströme
und die Produktion in die Märkte von morgen zu lenken und die
dortigen Kostenvorteile zu nutzen? Der Widerstand der stark national,
ja niedersächsisch geprägten Mehrheit im Aufsichtsrat ist absehbar.
Die Wettbewerber BMW und Daimler haben da größere Spielräume, die sie
geschickt nutzen. Und sie haben professioneller arbeitende
Aufsichtsräte, zumal in Personalfragen.
Piëchs Kerngedanke vom nötigen Wandel in Wolfsburg, der auf den
Konzernfluren schon seit vorigem Jahr diskutiert wird, ist richtig.
Das trotzig-beleidigte Festhalten am Bisherigen, das demonstrative
„Weiter so!“ in der gestrigen Hauptversammlung ist umso
unverständlicher, als der – nicht weniger trotzige – Piëch nun sogar
selbst durch seinen Rücktritt den Weg frei gemacht hat für den
überfälligen Generationswechsel und eine neue Führungs-und
Governancekultur in Wolfsburg. Wenn Aufsichtsrat und Vorstand diese
Chance zur Erneuerung jetzt nicht nutzen, droht die Wolfsburgisierung
auf die anderen Konzernmarken überzuschwappen und zu lähmen.
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