Die Franzosen können einem leidtun. Bei der letzten
Präsidentenwahl hatten sie die Wahl zwischen einem hyperaktiven
Vollblutpolitiker mit narzisstischen Zügen und einem farblosen
Parteiapparatschik, der nicht einmal in seinem Privatleben klare
Entscheidungen treffen kann. Und gerade als sie die Wahl des
Letzteren zutiefst bereuten und sich nach dem Amtsvorgänger
zurücksehnten, sorgte die französische Justiz dafür, dass das gesamte
Ausmaß von dessen Egomanie sichtbar wird. Die Affäre rund um Nicolas
Sarkozy ist nicht nur ein Problem für Frankreich. Sie steht
stellvertretend für die Krise der politischen
Führungspersönlichkeiten in der heutigen Welt. Auf der einen Seite
stehen charismatische Machtmenschen, die vieles bewegen und dafür
auch zu Recht gefeiert werden. Aber in allzu vielen Fällen erfasst
sie eine Art Cäsarenwahn; sie verlieren die Konsensfähigkeit, die
Bereitschaft, anderen zuzuhören und mit Widerspruch umzugehen. In der
ausgereiften Demokratie Frankreichs gab es eine Lösung: die Abwahl.
In unausgereiften Demokratien wie Russland, Türkei oder Ungarn
zementieren sich solche Politikertypen mit den Mitteln der Macht und
der Medien ein und werden, wenn ihnen der Wind entgegenbläst, zu
bedrohlichen Autokraten. Vor solchen Gefahren ist man hierzulande
derzeit gefeit. Österreich wird von Politikern regiert, die sich der
Grenzen ihrer Macht wohl bewusst sind und vieles, was auf Widerstand
stoßen könnte, erst gar nicht versuchen. Auch in Deutschland gilt
Angela Merkel als eine Regierungschefin, die Probleme lieber vor sich
herschiebt und Konflikten aus dem Weg geht. Und nicht nur in Europa:
Von Washington über London bis weit hinein nach Asien erschallt immer
wieder die Klage über Politiker, die weder Visionen noch
Durchsetzungskraft haben und Regierungen, die ihre Hausaufgaben nicht
machen. Gerade für die wirtschaftliche Zukunft von Staaten ist die
Reformunwilligkeit eine Gefahr: Je mehr die Politik eines Landes von
Interessengruppen bestimmt wird, die ihre eigenen Pfründen
verteidigen, desto weniger Dynamik und Wachstum kann es geben.
Deshalb ging etwa nach der Wahl in Indien ein Aufatmen durch das Land
und die ganze Welt, dass ein so tatkräftiger Politiker wie Narenda
Modi nun am Steuer steht. Und gleichzeitig kam sofort die Sorge auf,
dass der Hindu-Nationalist in seinem Machtdrang die feine
multireligiöse Balance und letztlich auch die gesamte indische
Demokratie gefährden könnte. Gesucht wird die perfekte Mischung: die
starke Führungspersönlichkeit, die dennoch zuhört und Rücksicht
nimmt, die das politische Geschäft mit all seinen Tricks beherrscht,
aber das Gemeinwohl stets über die eigene Popularität stellt.
Gefunden werden diese Figuren meist in der Vergangenheit: Churchill,
Roosevelt, auch Bruno Kreisky oder Jacques Delors waren angeblich so.
Der Verklärungsfaktor ist dabei enorm. Doch auch in der aktuellen
Politik erwecken neue Persönlichkeiten solche Hoffnungen, etwa
Italiens Premier Matteo Renzi. Sein Talent als Machtmensch hat der
selbst ernannte „Verschrotter“ bereits bewiesen; nun wird erwartet,
dass er sein Land mit jenen Reformen aus der Krise führt, an denen
seine Vorgänger gescheitert sind. Und er darf dabei auch nicht in die
gleiche Falle wie Sarkozy tappen, indem er es mit den Regeln von
Demokratie und Rechtsstaat nicht so genau nimmt. Das ist viel
verlangt – vielleicht zu viel.
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