Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des
Europaparlaments, Elmar Brok, hat den türkischen Ministerpräsident
Recep Tayyip Erdogan nach dessen Auftritt in Köln scharf kritisiert.
„Erdogan hat den Kontakt zur Wirklichkeit verloren“, sagte Brok dem
„Tagesspiegel“ (Montagausgabe) mit Blick auf die Haltung des
türkischen Regierungschefs gegenüber Kritikern im In- und Ausland.
„Jeder, der ihn kritisiert, ist sein Feind“, monierte der
CDU-Politiker. Erdogan entferne sich „immer mehr von der Möglichkeit
einer EU-Mitgliedschaft“, sagte Brok weiter. Zuvor hatte der
türkische Ministerpräsident am Samstag in Köln internationale Kritik
an Einschränkungen der Bürgerrechte zurückgewiesen.
Erdogan habe mit seinem Auftritt „eine Chance verpasst“, sagte der
Außenexperte und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Rolf
Mützenich, dem Tagesspiegel. Zum einen hätte der Ministerpräsident
„auf die Hinweise reagieren“ können, die ihm Bundespräsident Joachim
Gauck bei seiner Türkeireise gegeben habe. Zum anderen hätte Erdogan
die Möglichkeit gehabt, seinen Umgang mit dem Grubenunglück in Soma
zu korrigieren. Stattdessen habe er es gehalten wie immer und einen
Sündenbock gesucht. Die deutschen Medien zu bezichtigen, das Unglück
für sich ausgeschlachtet und die Türkei beschimpft zu haben, sei
„vollkommen abwegig“ und ein billiges Ablenkungsmanöver. Erdogan
versuche damit nur, „seine eigenen Fehler zu kaschieren“. Kritisch
äußerte sich Mützenich auch zu Erdogans erneuten Appell an die Türken
in Deutschland, sich nicht zu „assimilieren“. Die Bundesregierung
sollte dies jetzt „umso mehr als Aufforderung nehmen, noch stärker
auf die hier lebenden Türken zuzugehen und auf ihre Integration
hinzuwirken“, sagte der SPD-Politiker.
Erdogan sei wahrscheinlich überzeugt, eine gemäßigte Rede gehalten
zu haben, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir dem Tagesspiegel. Allerdings
unterscheide sich die Wahrnehmung, was gemäßigt ist und was nicht,
hierzulande diametral von der des türkischen Ministerpräsidenten.
Erdogans Auftritt habe gezeigt, dass mittlerweile auch die Türken in
Deutschland von der Polarisierung in der Türkei erfasst seien. „Wer
nicht für ihn ist, ist gegen ihn, und Grautöne gibt es nicht.“
Entsprechend wichtig wäre es Özdemirs Sicht, den Türken in
Deutschland „das Gefühl zu vermitteln, dass die Musik für sie hier
spielt und ihre Probleme nicht in der Türkei gelöst werden“. Nötig
sei eine konsequente Integrationspolitik und die Weiterentwicklung
des Staatsangehörigkeitsrechts, „damit die Kinder von Zuwanderern von
Anfang an als Inländer aufwachsen und sich auch so fühlen“.
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