Deutsches Aktieninstitut e.V. / Sonstiges
11.05.2010 10:00
Veröffentlichung einer Corporate News, übermittelt
durch die DGAP – ein Unternehmen der EquityStory AG.
Für den Inhalt der Mitteilung ist der Emittent / Herausgeber verantwortlich.
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Joe Kaeser, Finanzvorstand, Siemens AG
“Handeln im Dienste der Sache“
Dr. Franz-Josef Leven, Direktor, Deutsches Aktieninstitut
Die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten liegt hinter
uns. Doch über die richtigen Regeln, wie solch tiefgreifende Krisen
zukünftig vermieden werden können, wird noch gestritten. In einemInterview
mit dem Finanzplatz erklärt Joe Kaeser, Finanzvorstand der Siemens AG, wie
sich das Verhältnis von Finanz- und Realwirtschaft in den letzten zwei
Jahren verändert hat bzw. noch verändern muss. Er spricht über die Märkte
der Zukunft und betont die Bedeutung des direkten Kapitalmarktzugangs für
Unternehmen in Zeiten der Krise.
Interview
Herr Kaeser, haben Sie den Eindruck, dass die Eliten in Politik und
Wirtschaft ihrer Rolle, Vorbilder zu sein, vor und während der Krise
gerecht geworden sind?
Vorbild zu sein beinhaltet entschiedenes Handeln im Dienste der Sache.
Dabei mussman mit Mut und Einsatz vorangehen. Als Voraussetzung für einen
Aufschwung muss wieder Vertrauen in die Wirtschaft zurückkommen. Ganz
wichtig ist in diesem Zusammenhang das entschlossene Handeln der Politiker.
Die Bundesregierung und die Notenbanken haben in dieser Hinsicht bislang
vorbildlich agiert. Auch die Unternehmen setzen Signale, indem sie das
Thema Nachhaltigkeit viel stärker in den Mittelpunkt ihres Handelns gerückt
und sich auf ihre Stärken konzentriert haben. Jenseits der aktuellen
Probleme müssen Ökonomie und Ökologie mehr denn je Hand in Hand gehen. Es
gibt heute keinenverantwortungsvollen Manager mehr, der das wirklich in
Abrede stellt. Die tragenden Kräfte in Wirtschaft und Politik sind in
dieser Hinsicht in den letzten Jahren weit vorangekommen.
Das im letzten Jahr verabschiedete Gesetz zur angemessenen
Vorstandsvergütung ist eine Regulierungsfolge der Finanzkrise. Darin wurde
unter anderem auch festgelegt, dass die Aktionäre im Rahmen der
Hauptversammlung über das Vergütungssystem abstimmen dürfen. Siemens war
das zweite DAX-Unternehmen, dessen HV über diesen Punkt abgestimmt hat. Wie
waren Ihre Erfahrungen?
Das Gesetz hat die Transparenz im Bereich der Vorstandsvergütung weiter
erhöht. Das ist sehr gut und wird auch von vielen Akteuren am Kapitalmarkt
so beurteilt. Aufgrund des frühen Termins unserer Hauptversammlung haben
wir bezüglich der Abstimmung über unser Vergütungssystem eine
Vorreiterrolle eingenommen, obwohl wir noch nichtdie Gelegenheit hatten,
auf alle Aspekte des neuen Gesetzes umfänglich einzugehen. Hier werden die
Verantwortlichen im Aufsichtsrat in diesem Jahr sicher noch die ein oder
andere Justierung vornehmen. Dennoch bin ich mit dem Abstimmungsergebnis
sehr zufrieden. Denn es zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Die Managerboni gelten vielen als eine Ursache oder Verstärker für die
Finanzkrise. Diese Boni wurden zum Teil auf nicht realisierte Gewinne
gezahlt. Entspricht ein solches Vorgehen aus Ihrer Sicht dem Gebot der
Nachhaltigkeit?
Die Boni-Diskussion steht meines Erachtens manchmal zu sehr im Fokus der
Suche nach Ursachen der Krise. Wir sollten aber nicht vergessen: Die Gier
der Menschen nach hohen Anlagegewinnen und eine lückenhafte Regulierung
haben ebenfalls dafür gesorgt, dass sich die finanziellen Instrumente von
der Realwirtschaft entfernen konnten. Unbestritten ist auch, dass es in
Einzelfällen eine Instinktlosigkeit gab. Dabei waren Maß und Mitte abhanden
gekommen. Die Entlohnung muss sich an der Leistung orientieren und
Nachhaltigkeit fördern. Auf dieser Maxime baut auch die Vorstandsvergütung
bei Siemens auf. Die variable Vergütung bemisst sich nach klar definierten
Leistungsgrößen und ist nach oben begrenzt. Ein wesentlicher Bestandteil
des Vorstandsvergütungssystems von Siemens sind zudem die Share Ownership
Guidelines, die wir im Jahre 2008 eingeführt haben. Sie verpflichten die
Mitglieder des Vorstands, ein Mehrfaches ihres Grundgehalts in
Siemens-Aktien zu investieren. Dies gibt einen starken Anreiz zu einer
nachhaltigen, auf Langfristigkeit ausgerichteten Unternehmensführung.
Wie verändert die Krise das Zusammenwirkenvon Finanz- und Realwirtschaft?
Die Krise hat gezeigt, dass die Realwirtschaft auf ein funktionierendes
Finanzsystem angewiesen ist. Jedes Finanzgeschäft, das keine reine
Spekulation ist, hat seine Ursache in einem Grundgeschäft in der
Realwirtschaft. Insoweit hat die Finanzwirtschaft der Realwirtschaft als
Finanzierungsquelle und Vermittler von Eigen- und Fremdkapital zu dienen.
Bei manchen Finanzprodukten konnte man vor der Krise den Bezug zur
Realwirtschaft nicht immer genau erkennen. Das wird sich hoffentlich
ändern, denn die Finanzkrise hat eines deutlich gemacht: Wenn zwei
Vertragspartner isoliert auf den Eintritt bestimmter Ereignisse wetten,
erfolgt nicht automatisch eine Wertschöpfung. Gleichwohl ist zu beachten,
dass der Einsatz von Finanzinstrumenten nicht der Auslöser für die
Finanzkrise war. Maßgebliche Ursachen lagen in einem sehr realen Feld,
nämlich der privatenImmobilienfinanzierung in den USA. Hier wurden – auch
auf politische Initiative hin – Wertzuwächse von Immobilien unterstellt,
die über die Breite des Marktes hinweg einfach nicht realistisch waren.
Welche Anforderungen an die Regulierung von Banken sind zu stellen, damit
Staat und Steuerzahler nicht noch einmal zur Rettung des gesamten
Finanzsystems in Anspruch genommen werden müssen?
Das Finanzsystem ist von existenzieller Bedeutung für unsere
Volkswirtschaft. Es ist Aufgabe des Staates, die Rahmenbedingungen für ein
stabiles Finanzsystem zu schaffen. Das bedeutet nicht, dass jeder einzelne
Teilnehmer am Finanzsystem um jeden Preis zu retten ist. Wenn einzelne
Banken nur deshalb gerettet wurden, weil der Folgeschaden einer Insolvenz
unabsehbar gewesen wäre, haben Regulierung und Marktstruktur nicht
gestimmt. Beim Ruf nach stärkerer Regulierung dürfen wir aber nicht die
Bedürfnisse der verschiedenen Marktteilnehmer außer Acht lassen. Ich denke
da beispielsweise an den Derivatemarkt. Viele Unternehmen – auch Siemens –
sind auf liquide Märkte für Absicherungsinstrumente angewiesen. Eine zu
starke Regulierung könnte letztlich zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit
gehen.Regulierung muss mit Augenmaß betrieben werden und sollte sich vor
allem darauf konzentrieren, dass Dominoeffekte vermieden werden.
Krisenzeiten bieten auch Chancen. Gehört eine natürliche Konsolidierung
nicht zu den konstitutiven Elementen unserer Wirtschaft? Was bedeutet das
für die Finanz- und die Realwirtschaft?
In einer Marktwirtschaft ist eine natürliche Konsolidierung ein ganz
normaler Vorgang. Wenn ein Unternehmen seine Kosten auf Dauer nicht mehr
erwirtschaftet, ist das ein Zeichen für falschen Ressourceneinsatz. Das
behindert den technologischen Fortschritt und schadet letztlich der
gesamten Wirtschaft. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik muss einen
volkswirtschaftlich sinnvollen Strukturwandel ermöglichen. Dafür brauchen
wir beispielsweise flexible, aufnahmefähige Arbeitsmärkte, aber auch
Finanzmärkte, die dazu beitragen, dass – bildlich gesprochen – aus einem
Husten keine Grippewelle entsteht. Wir haben hier in Deutschland
grundsätzlich gute Rahmenbedingungen.
Die Amerikaner und Europäer werden als Konsumenten in den nächsten Jahren
voraussichtlich keine tragende Rolle bei der Entwicklung der Weltwirtschaft
haben. Inwieweit können Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien
dies kompensieren?
Die Schwellenländer, allen voran China, Indien und Brasilien, sind die
Wachstumsmärkte der Zukunft. Als eine Konsequenz der Wirtschaftskrise wird
das Gewicht der Schwellenländer im Welthandel erheblich zunehmen. 2015
werden sie über 35% zur Weltwirtschaftsleistung beitragen. Hier gibt es
einen immensen Investitionsbedarf bei der Infrastruktur. Das wird der
Weltwirtschaft und insbesondere Infrastrukturanbietern wie Siemens zugute
kommen.
Wie bereitet sich Ihr Haus darauf vor, dass der Aufschwung voraussichtlich
im“Fernen Osten“ beginnen wird?
Wir verfügen über eine sehr starke Position in den Wachstumsmärkten,
insbesondere in den Schwellenländern. Siemens hat 2009 bereits ein Drittel
seiner neuen Aufträge in den Schwellenländern gewonnen. In vielen dieser
Länder sind wir seit Jahrzehnten, in etlichenseit über hundert Jahren
tätig. Und wir bauen unsere Präsenz dort Schritt für Schritt weiter aus.
Unsere seit Langem gewachsene lokale Verwurzelung in diesen Märkten ist ein
herausragender Wettbewerbsvorteil. Wir sind ein anerkannter
Geschäftspartner vor Ort.
Im Januar hat Siemens das höchste operative Quartalsergebnis seiner
Firmengeschichte vorgelegt. Vor allem auch Sparanstrengungen haben dazu
beigetragen. Welche Maßnahmen haben Sie im Vorfeld ergriffen, und wie
erfolgreich konnten diese umgesetzt werden?
Siemens hat als eines der ersten Unternehmen darauf hingewiesen, dass die
Finanzkrise negative Folgen auf die Realwirtschaft haben wird. Entsprechend
frühzeitig haben wir Maßnahmen eingeleitet, damit Siemens möglichst gut
durch die Krise kommt und gestärkt aus ihr hervorgeht. Das
Kostensenkungsprogramm in der Verwaltung ist nur eine von mehreren
Maßnahmen gewesen. Unsere weltweiten Vertriebs- und Verwaltungskosten sind
im abgelaufenen Geschäftsjahr auf 10,9 Mrd. EUR gesunken. Damit haben wir
unser Ziel übertroffen und die Einsparungen von 2 Mrd. EUR bereits ein Jahr
früher als geplant erreicht. Bei unserer Einkaufsinitiative kommen wir
ebenfalls mit großen Schritten voran. Zudem haben wir Siemens schneller und
schlagkräftiger gemacht, einerseits durch die Einführung des CEO-Prinzips
mit eindeutig definierten Verantwortlichkeiten und andererseits durch die
klare Fokussierung unseres Geschäfts auf die Wachstumsmärkte der Zukunft.
Siemens ist heute der größte Anbieter umweltfreundlicher Technologien. Wir
haben im abgelaufenen Geschäftsjahr mit grünen Produkten über 23 Mrd. EUR
umgesetzt. Das waren 11% mehr als im Jahr zuvor! Unser Umweltportfolio ist
ein klarer Stabilisator für das Siemens-Geschäft. Und damit sind wir einen
großen Schritt weitergekommen auf dem Weg zu einem grünen Umsatz von 25
Mrd. EUR im Geschäftsjahr 2011.
Müssen nicht auch Unternehmen wie Siemens irgendwann wieder investieren, um
den wirtschaftlichen Aufschwung voranzutreiben?
Wir stärken beständig unser Kerngeschäft, um am Wachstum von morgen zu
partizipieren. So haben wir beispielsweise unsere Kompetenzen im
Solargeschäft ausgebaut. Außerdem investieren wir überdurchschnittlich in
Forschung und Entwicklung – selbst im gegenwärtig schwierigen
weltwirtschaftlichen Umfeld. Im Geschäftsjahr 2009 haben wir rund 3,9 Mrd.
EUR für unsere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ausgegeben und damit
noch einmal über 100 Mio. EUR mehr als im Jahr davor. Wir wollen auch
künftig an unseren hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung
festhalten – insbesondere bei grünen und energieeffizienten Technologien.
Nur so können wir unsere führenden Marktpositionen bewahren und ausbauen.
2009 hat sich Siemens dem besonders spannenden Umweltprojekt Desertec
angeschlossen. Dies ist tendenziell langfristig ausgelegt. Konkret und ganz
aktuell haben Sie sich durch eine Akquisition auf dem Solarthermie-Gebiet
verstärkt (Solel Solar Systems). Was erhoffen Sie sich davon?
Die Übernahme von Solel ist ein weiterer konsequenter Schritt, unser rasch
wachsendes Umweltportfolio weiter auszubauen. Dadurch ist Siemens in der
Lage, das Solarfeld und den Kraftwerksblock für Parabolrinnen-Kraftwerke
aus einer Hand anzubieten. Wir verstärken uns somit auf dem wichtigen Markt
der Solarthermie – das ist strategisch wichtig. Der Markt für
Solarthermie-Kraftwerke wird stark wachsen, vor allem in den USA, Indien,
Südafrika, Australien und im Nahen Osten. Für die Realisierung der
Desertec-Initative stellt die Akquisition einen weiteren wichtigen Schritt
dar.
In den meisten Unternehmen war letztes Jahr die Devise “cash is king“. Gilt
diese Einschätzung auch heute noch? Wie stehen Sie zur öffentlichen
Diskussion, die Ausschüttungen an Aktionäre in einen Widerspruch zur
Eigenkapitalstärkung und Arbeitsplatzsicherung stellt?
In der Tat stand für zahlreiche Unternehmen die Sicherung der Liquidität
während der Krise im Vordergrund. Prekär war allerdings die Lage vor allem
für solche Unternehmen, die keinen direkten Kapitalmarktzugang hatten. In
diesemKontext wird vielfach auch eine faktische Kreditklemme beklagt. Für
Siemens galt und gilt, dass wir jederzeit handlungsfähig waren und freien
Zugang zum Kapitalmarkt hatten. Eine nachhaltige Ausschüttungspolitik ist
das sichtbare Zeichen für eine anhaltende Rentabilität eines Unternehmens.
Dies trägt dazu bei, dass dem Unternehmen zur Finanzierung eines
profitablen Wachstums auch jederzeit die Kapitalmärkte offenstehen. Darüber
hinaus sind Arbeitsplätze langfristig immer dort am sichersten, wo ein
Unternehmen einen Mehrwert schafft und profitabel wirtschaftet.
11.05.2010 10:00 Ad-hoc-Meldungen, Finanznachrichten und Pressemitteilungen übermittelt durch die DGAP. Medienarchiv unterwww.dgap-medientreff.deundwww.dgap.de—————————————————————————