DGAP-News: Deutsches Aktieninstitut e.V. / Schlagwort(e): Sonstiges
Deutsches Aktieninstitut e.V.:
05.09.2011 / 10:00
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Christoph Lammersdorf, Vorsitzender der Geschäftsführung, Boerse Stuttgart
Holding GmbH
–Zunehmende Konzentration der Börsen bietet Chancen für Stuttgart–
Uta-Bettina von Altenbockum, Finanzplatz
Die Börse Stuttgart feiert in diesem Jahr das 150jährige Jubiläum des
Stuttgarter Börsenvereins, dem Vorläufer der Stuttgarter Börse. Neben der
Marktführerschaft bei verbrieften Derivaten und der Spezialisierung auf
Privatanleger ist es der Börse Stuttgart im letzten Jahr gelungen, ein
erfolgreiches Mittelstandsanleihensegment (Bondm) zu etablieren. Im
Interview mit dem Finanzplatz spricht der Vorsitzende der Geschäftsführung
Christoph Lammersdorfüber Bondm, die Veränderungen in der deutschen und
internationalen Börsenlandschaft und fordert, die Vermittlung von
Finanzwissen in die Lehrpläne der Schulen aufzunehmen.
Interview
Herr Lammersdorf, wo soll die Börse Stuttgart vielleicht nicht in 150
Jahren, aber doch in 15 Jahren stehen?
Wir haben uns in den vergangenen Jahren erfolgreich spezialisiert: Heute
sind wir die Privatanlegerbörse in Deutschland. Wir bieten Privatanlegern
Möglichkeiten, die ansonsten nur institutionellen Investoren vorbehalten
sind. Darauf haben wir unsere Angebote und Services konsequent
ausgerichtet. Vor diesem Hintergrund ist es unser Anspruch, auch in 15
Jahren der führende Handelsplatz für Privatanleger in Deutschland und in
weiteren europäischen Ländern zu sein.
Der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft liegt in unserer
Innovationskraft. Wir haben stets den Wandel der Märkte im Blick, etwa
aufgrund der fortschreitenden Globalisierung und der steigenden
Geschwindigkeit im Wertpapierhandel. Dabei gilt es, Chancen zur
Profilierung gezielt zu nutzen. Das haben wir im Jahr 2007 getan, als wir
unser hybrides Marktmodell eingeführt haben: Es kombiniert ein
leistungsfähiges elektronisches Handelssystem mit der langjährigen
Erfahrung unserer Handelsexperten. Und auch in Zukunft werden wir uns
kontinuierlich weiterentwickeln – immer mit Blick auf die Interessen des
privaten Anlegers.
Ein Baustein ist auch unsere Expansion ins Ausland, die wir weiter
fortführen werden. Im November 2008 haben wir die schwedische Börse NGMübernommen. Mittlerweile sind wir auch in Finnland und Norwegen präsent.
Skandinavien ist attraktiv, weil die Privatanleger dort großes Interesse an
Finanzprodukten haben. Uns ist es gelungen, das Produkt Zertifikat, das in
Schweden nicht etabliert war, dort bekannt zu machen.
Vor gut einem Jahr hat die Börse Stuttgart das Mittelstandssegment Bondm
ins Leben gerufen. Obwohl das Segment grundsätzlich begrüßt worden ist,
gibt es auch Kritik, weil der seriöse und vertrauenswürdige Begriff der
–Mittelstandsanleihe– verschleiere, dass es sich um hochspekulative
Anleihen handelt. Neun der gelisteten 17 Anleihen haben ein Rating von BB+
und schlechter. Sind Privatanleger in der Lage, das mit den Anleihen
verbundene Risiko realistisch einzuschätzen?
Transparenz im Markt für Mittelstandsanleihen lässt sich nur durch
Information herstellen. Genau hier setzen wir an. Unternehmen, die sich für
die Aufnahme in das Handelssegment Bondm bewerben, verpflichten sich, einüber die normalen Regelungen des Freiverkehrs hinausgehendes Mindestmaßan
fortlaufender Transparenz und Publizität gegenüber Investoren einzuhalten.
Neben dem Wertpapierprospekt, einem testierten Jahresabschluss,
Halbjahresberichten und dem Finanzkalender werden auch
Quasi-Ad-hoc-Meldungen veröffentlicht. Auf der Website kann zudem eine
Risikoeinschätzung in Form eines Ratings des Unternehmens und eines
jährlichen Folgeratings eingesehen werden. Trotz all dieser Informationen
bleibt dem Anleger allerdings nicht erspart, sich intensiv mit dem
jeweiligen Unternehmen auseinanderzusetzen, um eine Entscheidung für oder
gegen ein Investment zu tätigen. Privatanleger benutzen solche Anleihen
insbesondere als Beimischung für ihr Depot, damit sind Anleihen kein
Massenprodukt. Sie sind vor allem für gut informierte und erfahrene Anleger
geeignet, die sich des Risikos bewusst sind.
International hat ein Konsolidierungsprozess der Börsen eingesetzt, der
schon einige prominente Zusammenschlüsse hervorgebracht hat. Der nächste
Zusammenschluss wird voraussichtlich der von Euronext NYSE und Deutsche
Börse AG sein. Was bedeutet das für die Börsenlandschaft in Deutschland?
Welche Chancen eröffnet dieser Zusammenschluss für die Börse Stuttgart?
In der zunehmenden Konzentration der Börsenlandschaft in den kommenden
Jahren sehe ich eine große strategische Chance für unseren Handelsplatz.
Denn wenn die Bälle immer größer werden, dann bleibt zwischen ihnen mehr
Platz für die kleinen Bälle. Zu unseren Stärken zählen die Betreuung von
Privatanlegern und der Handel mit weniger liquiden Werten. Wenn man sich
als Börsenplatz auf Privatanleger spezialisiert, braucht es auch die
regionale Nähe – sowohl zu den Emittenten von Wertpapieren, die für
Privatanleger geeignet sind, als auch zu den privaten Anlegern selbst.
Stuttgart ist hier am weitesten vorangekommen. Wir haben die
technologischen Fähigkeiten und sind großgenug, um viele Privatanleger zu
erreichen. Mit einem Jahresumsatz von rund 100 Mrd. EUR ist die Börse
Stuttgart der zweitgrößte Handelsplatz in Deutschland, europaweit liegt die
Börse Stuttgart nach der Fusion der NYSE Euronext und der Deutschen Börse
aktuell auf Rang acht und damit vor Hauptstadtbörsen wie Wien oder
Warschau.
Deutschland leistet sich im Gegensatz zu seinen europäischen Nachbarn eine
Vielzahl von Börsen. Wie sehen Sie die Perspektiven der Regionalbörsen in
diesem Umfeld in Zukunft?
Angesichts der unterschiedlichen Bedürfnisse von institutionellen und
privaten Investoren sollten wir intensiv darüber nachdenken, ob man die
Strukturen nicht so entwickeln kann, dass im Wesentlichen zwei
Börsenorganisationen für den klassischen Wertpapierhandel in Deutschland
entstehen. Eine für den internationalen und institutionellen Handel mit
liquiden Werten und eine für den Privatanlegerhandel in allen Produkten und
die Betreuung der wenig und nicht liquiden Werte. Für kleinere Börsen gibt
es letztendlich nur eineÜberlebensstrategie: die Spezialisierung. Wer kein
eindeutiges Profil hat, wird irgendwann von der Bildfläche verschwinden.
Ein klassischer Handelsplatz als Geschäftsmodell reicht langfristig nicht
aus. Innovationen sind daher gefragt.
Trotz einer langfristig attraktiven Durchschnittsrendite von Aktien halten
sich immer mehr Privatanleger vom Aktienmarkt fern. Was müsste Ihrer
Meinung nach getan werden, damit wieder mehr Privatanleger in Aktien
anlegen?
Die Zahl der Aktionäre sinkt doch auch deshalb, weil die Privatanleger
zunehmend in neue – auf dem Aktienmarkt aufbauende – Instrumente
investieren können. Viele Anleger sind lieber in Fonds, in Zertifikaten und
in Unternehmensanleihen aktiv. Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, der
uns als Börse Stuttgart am Herzen liegt: Die deutschen Privatanleger müssen
sich intensiver mit ihren Geldanlagen beschäftigen. Mit dem Thema Finanzen
kann man deshalb gar nicht früh genug beginnen. Daher fordert die Börse
Stuttgart, dass die Vermittlung von Finanzwissen fest in die Lehrpläne für
das Unterrichtsfach Wirtschaft an allen weiterbildenden Schulen aufgenommen
wird.
Der direkte Kontakt zu den Anlegern hat bei uns einen hohen Stellenwert:
Wir organisieren pro Jahr bundesweit 140 Veranstaltungen für Privatanleger.
Wir haben jedes Jahrüber 7.000 Besucher bei uns in der Börse und sprechen
auf der Anlegermesse Investüber 15.000 Besucher aus dem süddeutschen Raum
an. Zudem werden pro Jahr rund 44.000 Anfragenüber unsere kostenlose
Kundenhotline abgewickelt.
Nach einer Studie von BVI und McKinsey ist die Bereitschaft
institutioneller Investoren in Deutschland, sich bei IPOs finanziell zu
engagieren, gering. Kapitalknappheit und Misstrauen gegenüber den
Börsenneulingen werden als Grund genannt. Warum sollte ein deutsches
Unternehmen heuteüberhaupt noch den Gang an die Börse wagen, wenn
institutionelle Anleger in Deutschland doch nur abwinken?
Grundsätzlich können Unternehmen mit Hilfe des Kapitalmarkts ihre
Finanzierungsbasis verbreitern – mit Blick auf institutionelle wie private
Investoren. Nicht zuletzt deshalb drängt auch die Europäische Kommission
zurzeit die europäischen Börsenorganisationen, die Möglichkeiten für kleine
und mittlere Unternehmen zur Nutzung des Kapitalmarktes zu verbessern.
Sicher sind dazu noch einige Entwicklungsschritte notwendig. Der Weg an den
Kapitalmarkt führt allerdings nicht zwangsläufig und ausschließlichüber
IPOs. Auch das IBO, also das Initial Bond Offering, kann ein erster Schritt
sein. Denn IBOs helfen, das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der
Unternehmen zu steigern und diese für den Kapitalmarkt attraktiv zu machen.
Ende der Corporate News
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05.09.2011 Veröffentlichung einer Corporate News/Finanznachricht,übermittelt durch die DGAP – ein Unternehmen der EquityStory AG.
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