Natürlich versucht Griechenlands
Ministerpräsident Jiorgos Papandreou in Berlin, das Bild seines hoch
verschuldeten Landes in möglichst freundlichen Farben zu zeichnen.
Schließlich weiß er, dass das Schicksal Griechenlands in Berlin
entschieden wird. Insofern sind einige der vermeintlich großen
Fortschritte, die der Premier gestern vor dem Deutschen
Industrieverband (BDI) pries, zu hinterfragen.
Dass laut Papandreou beispielsweise die Exporte des
südeuropäischen Landes um 40 Prozent gestiegen sind, klingt zwar gut.
Aber die Ausfuhren des südeuropäischen Landes machen traditionell nur
einen sehr kleinen Teil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, so dass
damit nicht viel gewonnen ist. Zufrieden dürften auch viele vernommen
haben, dass die Pasok-Regierung Anfang Juli grünes Licht für die
Öffnung von fast 400 Berufsgruppen gegeben hat. Dass indes aufgrund
des ineffizienten Staatsapparats und des Widerstands von Verbänden
und Gewerkschaften noch kein Berufsstand liberalisiert wurde, steht
nur für eines von vielen Versäumnissen, die sich nicht nur die
Regierung, sondern auch die parlamentarische Opposition vorwerfen
lassen müssen, die die Reform-Bemühungen der Sozialisten aus
parteipolitischem Kalkül torpediert.
Da mag es der leidgeprüfte Premier ernst meinen, wenn er
behauptet, dass ihm die Chancen seiner Wiederwahl gleich seien. Aber
ohne vereinte politische Kräfte wird es besonders schwierig, das
griechische Volk – dessen Gemeinsinn außerhalb der Familie seit jeher
unterentwickelt ist – für die schmerzhafte, aber notwendige Rosskur
zu gewinnen. Der bewussten Irreführung muss Papandreou gleichwohl
unverdächtig bleiben, wenn er versichert, dass sein Land die Krise
meistern kann. Denn man muss weder Patriot sein noch im
Wolkenkuckucksheim leben, um Griechenland Erfolgschancen einzuräumen.
Es sind durchaus wirtschaftspolitische Maßnahmen und ökonomische
Entwicklungen zu finden, die Anlass zur Hoffnung geben. So wird mit
den Privatisierungen nicht nur Geld ins Mittelmeerland fließen, mit
dem der Schuldenberg abgetragen werden kann – gleichzeitig erhalten
diese Unternehmen weiteres Know-how und wichtige Umstrukturierungen.
Gut ausgebildete Ingenieure gibt es vor allem in der Nano- und
Mikro-Elektronik sowie der IT-Industrie, so dass es bereits konkrete
Gespräche für deutsche Werk- und Dienstleistungsverträge dort gibt.
Und wenn der BDI nun einen Energiepakt anregt, fällt dieser Vorschlag
auf sehr fruchtbaren und bereits bereiteten Boden: Schließlich
verhandelt Athen seit einiger Zeit mit Berlin über den Export großer
Mengen griechischen Solarstroms nach Deutschland. Erneuerbare
Energien stehen überhaupt im Focus der griechischen Wachstumspläne,
neben der Neuausrichtung des Tourismus– und der effizienteren
Landwirtschaft. Schöpft Griechenland da sein Potenzial aus, könne das
Land in den kommenden fünf bis zehn Jahren sein BIP um bis zu 50
Milliarden Euro steigern und 520 000 neue Jobs schaffen, hat die
Beratungsgesellschaft McKinsey errechnet.
Damit die Modernisierung der Wirtschaft gelingen kann, muss sich
jedoch ganz Griechenland wandeln. Denn die Wirtschaftskrise ist
letztlich Ausdruck eine schweren politischen und gesellschaftlichen
Krise. Nur wenn diese überwunden wird, die Griechen insgesamt mehr
Verantwortung gegenüber dem Staat und mehr Solidarität mit ihren
Landsleuten lernen, der ineffiziente und korrupte Staat wiederum sich
in den Dienst des Volkes stellt, kann Griechenland gesunden. Die
„Neugeburt eines Staates“ hat Papandreou gestern in Aussicht
gestellt. Nichts weniger als das scheint nötig zu sein, damit die
Wiege Europas auch in der Eurozone ihren Platz hat.
Kann Griechenland das schaffen? Es kann. Wenn sich Strukturen
grundlegend ändern, ändert sich auch die Mentalität. Aber das braucht
Zeit. Die Frage ist, ob die Eurozone Griechenland so viel Zeit
gewährt.
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