Frankfurter Neue Presse: Leitartikel zu den Protesten in Griechenland „Gegen das Volk kann man nie Recht behalten“ Von Panagiotis Koutoumanos

Griechenlands zerbrechliche
Koalitionsregierung hat nur eine kurze Schonfrist gehabt. Jetzt, da
sich ihre Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern über das
nächste schmerzhafte Sparpaket offenbar auf der Zielgeraden befinden,
entladen sich wachsende Verunsicherung und Wut weiter Teile der
Bevölkerung erneut in – zum Teil gewaltsamen – Protesten. Nun hat
Griechenland seit dem Ausbruch der Schuldenkrise schon viele Streiks
und Demonstrationen gesehen. Aber der Aufruhr, den das leidgeplagte
Land gestern erlebt hat und in den kommenden Wochen erleben wird, ist
mehr als nur das übliche Ventil für unterdrückte Wut.

Nach fünf Jahren tiefer Rezession, mehrmaligen Kürzungen bei
Gehältern, Renten- und Sozialleistungen und wiederholten
Steuererhöhungen, die zwar viele Menschen an den Rand der
Armutsgrenze und darüber hinaus gedrängt, das Land dem Verbleib in
der Eurozone aber ökonomisch kaum nähergebracht haben, steht
inzwischen das gesamte politische System vor einer harten Probe.
Kriminalität und Gewalt – besonders gegen illegale Einwanderer –
nehmen zu. In den jüngsten Umfragen verlieren die bürgerlichen
Parteien immer mehr an Unterstützung, erfahren die linksextreme
Syriza und die rechtsextreme „Goldene Morgenröte“ immer mehr
Zuspruch. Würde heute gewählt werden, wären die Linksausleger mit
rund 25 Prozent der Stimmen die stärkste Kraft, lägen die militanten
Rechtsausleger mit knapp elf Prozent noch vor der sozialistischen
Pasok, die das Land jahrzehntelang regierte. Was hier droht, ist die
ewige Flucht von Gesellschaften, die am Ende ihrer Kräfte sind, in
Chaos oder Tyrannei.

Natürlich muss das Volk nicht immer recht haben – aber gegen das
Volk kann man nun mal nie recht behalten. Umso mehr als sich
Griechenlands Regierende und die Troika schwere Fehler bei der
Gewichtung der verschiedenen Sparmaßnahmen geleistet und bei ihren
Konjunkturprognosen völlig daneben gelegen haben. Entsprechend hart
ringt die Athener Regierung seit vielen Wochen mit den Geldgebern um
die Ausgestaltung des nächsten, 11,5 Milliarden schweren Sparpakets,
dessen Umsetzung nach den zahlreichen Einschnitten der vergangenen
Jahren besonders schmerzhaft zu werden droht. Schließlich darf die
Koalition auf keinen Fall in der Bevölkerung den Eindruck entstehen
lassen, dass sie wieder einmal ein Diktat der Troika hinnimmt, das
zwar die politische und öffentliche Meinung in Europa kurzfristig
beruhigt, aber nicht aus der Krise führt.

Ist die Troika willens, den – zweifellos notwendigen Sparkurs –
halbwegs sozialverträglich mitzugestalten? Wenn die internationalen
Geldgeber es mit ihren Willensbekundungen, Griechenland möglichst in
der Währungsunion halten zu wollen, ernst meinen, sollten sie die
Latte nicht so hoch hängen, dass das Land diese unmöglich nehmen
kann. Die Streckung der Sparmaßnahmen wäre hier das Mittel der Wahl.
Ein Mittel, das die Verträge ausdrücklich vorsehen, wenn – wie
geschehen – die Rezession deutlich schlimmer ausfällt als
vorausgesagt. Deshalb hat die Troika auch Portugal, das lange Zeit
als Musterschüler unter den Krisenländern galt, nun aber
konjunkturbedingt wackelt, ein Jahr mehr Zeit gewährt. Angesichts der
jüngsten Erfolge, die Athen vorweisen kann – Haushalts -und
Primärdefizit sind in diesem Jahr deutlich niedriger als gefordert,
die Lohnstückkosten sind kräftig gesunken, und die Deregulierung des
Arbeitsmarkts kommt voran – wäre es kaum zu rechtfertigen, den
Griechen eine Fristverlängerung zu verweigern. Zumal die zunehmenden
Proteste in Portugal und Spanien zeigen, dass Griechenland kein
Sonderfall von Renitenz und moralischer Verfehlungen ist.

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