Frankfurter Neue Presse: zum Tarifkonflikt der Bahn „Bahn vertagt Lokführer-Streik nur“ Kommentar von Panagiotis Koutoumanos

Groß ist die Erleichterung der
Bahnkunden über das Ende des Lokführer-Streiks, der der längste in
der Geschichte der Deutschen Bahn werden sollte. Groß auch ihre
Hoffnung, dass Vorstand und Gewerkschaft nun im Schlichtungsverfahren
eine endgültige Einigung erzielen, die weitere Arbeitsniederlegungen
im Sommer überflüssig macht. Leider erscheint es geboten, diese
Hoffnung zu dämpfen.

Zu befürchten ist, dass der Lokführer-Streik nur vertagt worden
ist. Denn wie die gestrigen Ausführungen des knarzigen Bahn-Vorstands
Weber und des beredten Gewerkschaftsführers Weselsky zeigen, hat bei
beiden kein Sinneswandel stattgefunden, bleibt der Grundkonflikt in
den Verhandlungen bestehen: Die GdL besteht weiterhin darauf, nicht
nur für ihre Lokführer, sondern auch für das restliche Zugpersonal
eigenständige Tarifverträge abzuschließen – und zwar völlig
unabhängig von denen, die die große Konkurrenzgewerkschaft EVG
aushandelt. Die Bahn lehnt jedoch weiterhin kategorisch
unterschiedliche Tarifverträge für dieselbe Berufsgruppe ab – genauso
wie die als bräsig-brave verschriene EVG, die nun auch für ihre
Lokführer verhandeln will.

Der gordische Tarif-Knoten aus Tarif-Pluralität einerseits und
Tarifeinheit andererseits bleibt also bestehen. Und weil dieser dicke
Knoten – da hat Weselsky Recht – nicht Gegenstand einer Schlichtung
sein kann, wird er nun ausgespart. Stattdessen verlegen beide
Tarifparteien nun ihre Bemühungen darauf, über den Abbau von
Überstunden, Wochenarbeitszeit, Schichtfolgen und Gehaltserhöhungen
zu verhandeln – also Themen traditioneller
Tarif-Auseinandersetzungen, die relativ leicht abzuarbeiten sind. Die
Hilfe externer Schlichter ist hier eigentlich „nur“ von Nöten, um
zwei Parteien, die sich völlig entfremdet haben, überhaupt wieder an
einen Tisch zu bringen.

Wie soll es aber weitergehen, nachdem sich Bahn und GdL in diesen
klassischen Tarif-Themen geeinigt haben? Wie dann mit der
Grundsatzfrage umgehen, ob es im Bahn-Konzern zwei unterschiedliche
Tarifverträge geben kann und geben darf? Setzt der Konzernvorstand
tatsächlich darauf, dass die tariflichen Regelungen, auf die er sich
mit der GdL verständigt, weitestgehend identisch sind mit den
Vereinbarungen, die er mit der EVG trifft, so dass sich diese
Grundsatzfrage von selbst löst? So blauäugig kann das Management
nicht sein.

Statt die Lösung des Kernproblems einfach zu vertagen und auf das
Prinzip Hoffnung zu setzen, sollte der Bahn-Vorstand seine Ablehnung
gegen unterschiedliche Tarifverträge aufgeben. Denn Tarif-Pluralität
ist sehr wohl möglich – nicht nur juristisch. Das zeigt schon die
Tatsache, dass rund 4000 der insgesamt 20 000 Lokführer Beamte sind,
die nach anderen Tarif-Bestimmungen arbeiten als ihre angestellten
Kollegen. Und das zeigt auch die Tarifflucht vieler Konzerne, die
eigene Billig-Töchter gründen, Leiharbeiter einstellen oder zu
Werkverträgen greifen, so dass dort für die gleiche Arbeit
unterschiedliche Tarifverträge gelten. Warum soll eine vom
Arbeitgeber geschaffene Tarif-Pluralität legitim und praktikabel
sein, eine von Gewerkschaften angestoßene Pluralität aber nicht?
Diese Frage hat bislang auch der Bahn-Vorstand nicht schlüssig
beantworten können.

Aber sich erfolgreich darum drücken können wird das Management
nur, wenn sich GdL und EVG doch noch zur Kooperation durchringen.
Dass dies zumindest für diese Tarifrunde sehr unwahrscheinlich
erscheint, ist der Bundesregierung zuzuschreiben: Mit ihrem geplanten
Gesetz zur Tarifeinheit verletzt sie nicht nur schamlos die
Tarifautonomie, sondern hemmt dabei den Wettbewerb zwischen den
beiden Gewerkschaften an, weil künftig bei konkurrierenden
Tarifverträgen nur noch der Abschluss der Gewerkschaft gelten soll,
die in einem „Betrieb“ die meisten Mitglieder auf sich vereint.
Streiks der kleineren Arbeitnehmer-Vertretung würden dann als
unverhältnismäßig gelten und verboten werden. Da kann es doch nicht
verwundern, dass EVG und GdL versuchen, in diesem Tarifkonflikt
einen besseren Abschluss zu erzielen als die Konkurrenz-Gewerkschaft,
um in möglichst vielen der rund 300 Bahn-Betriebe die Mehrheit zu
gewinnen, bevor dieses Gesetz in Kraft tritt.

Pressekontakt:
Frankfurter Neue Presse
Chef vom Dienst
Peter Schmitt
Telefon: 069-7501 4407