FT: Ohnmacht / Eine Datei für auffällige Internetnutzer schützt nicht vor Amoktaten / Von Anette Asmussen

Die Anschläge von Norwegen sind grauenhaft, und
sie machen Angst: Kann so etwas auch in Deutschland passieren? Diese
Frage bewegt aktuell wohl viele Menschen. Die Wahrheit ist so simpel
wie fürchterlich: Ja, fanatisierte Einzeltäter können überall und zu
jeder Zeit zuschlagen. Davor gibt es keinen Schutz. Wer will diese
Hilflosigkeit akzeptieren? Reflexartig werden nun Forderungen laut:
Sämtliche Personen, die sich im Internet auffällig benehmen, müssten
in einer Datei erfasst werden. Und: Es müsse künftig über mehrere
Monate hinweg nachvollziehbar bleiben, wer mit wem telefoniert, wer
wem eine Email oder eine SMS geschickt hat. An dieser sogenannten
Vorratsdatenspeicherung führe nun kein Weg mehr vorbei.

Der Wunsch nach Kontrolle ist verständlich, doch führt er in die
Irre: Das Internet ist nicht zu kontrollieren. Niemand wird sämtliche
auffälligen Beiträge erfassen, geschweige denn so in einer Datei
sortieren können, dass sich sinnvoll mit ihnen arbeiten ließe:
Täglich nutzen über zwei Milliarden Menschen das weltweite Netz,
allein in Deutschland sind es mehr als 50 Millionen. Und: Wenn wir
unsere Mitmenschen bespitzeln, Telefongespräche, E-Mail und
SMS-Verkehr überwachen, geben wir als kommender Big-Brother-Staat
zwar sämtliche Errungenschaften unserer freiheitlichen Demokratie auf
– Sicherheit gewinnen wir dafür aber nicht. Kein System ist so
perfekt, das es nicht bewusst umgangen werden könnte.

Jetzt mit dem Finger auf andere zu zeigen und abstrakte
Forderungen zu erheben, hilft niemandem. Stattdessen sollte jeder
Einzelne ganz konkret Aufmerksamkeit und Verantwortungsbewusstsein
für sein nahes Umfeld zeigen. Attentate und Amoktaten werden oft nur
möglich, weil das direkte Umfeld der Täter versagt, weil Familie,
Freunde, Vereinskameraden oder Kollegen Warnzeichen übersehen. Weil
sie nicht erkennen – oder nicht erkennen wollen -, dass da jemand in
höchster Not ist, dass einer vor ihren Augen den Bezug zur Realität
oder sämtliche sozialen Kontakte verliert.

Pressekontakt:
Flensburger Tageblatt
Till H. Lorenz
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