Nun droht wieder einmal in Hamburg eine
bürgerliche Protestbewegung Parteigestalt anzunehmen und das
bestehende System aufzumischen. Die Bürgerinitiative „Wir wollen
lernen“ hat gegen alle Fraktionen in der Bürgerschaft erfolgreich
eine Schulreform verhindert, hätte ihren Zweck damit eigentlich
erfüllt, aber ihr Vorsitzender wittert Morgenluft, erweitert
unversehens das Spektrum der Bewegung, tritt nun auch gegen den
Neubau einer Straßenbahn an und stellt fest, die Zeit sei reif für
eine bürgerliche Alternative zu den etablierten Parteien. Tatsächlich
scheint die Zeit günstig für bürgerlichen Protest gegen alles, was
Parteien zu gestalten versuchen. Der Erfolg gegen die Primarschule in
Hamburg hatte ja nicht nur sachliche Gründe, sondern hatte seine
Ursache auch in einer generellen Abwehrhaltung gegen „die Politiker“.
Zu besichtigen ist so etwas auch außerhalb Hamburgs, am auffälligsten
zurzeit in Stuttgart, wo der Widerstand gegen den Neubau eines
eleganten Metropolenbahnhofs gedeiht – gegen den ausdiskutierten und
in allen demokratischen Gremien des parlamentarischen Systems
beschlossenen Mehrheitswillen. In Schleswig-Holstein droht die
Fehmarnbeltquerung zum „Stuttgart 21“ des Nordens zu werden, auch
dies ein Zukunftsprojekt, das Aufbruch, Entwicklung und Wachstum
verspricht und trotzdem Kleinmut und Widerstand hervorruft. Nein, es
sind keine guten Zeiten für politische Gestaltung. Die Zeichen stehen
auf Misstrauen und Protest. Eine in Einzelfällen vielleicht
begründete Haltung, aber in der Gesamtheit eine gefährliche
Entwicklung, die das Grundgefüge der parlamentarischen Demokratie zu
berühren beginnt. Dabei hat gerade Hamburg mit Neuparteien, die aus
außerparlamentarischen Bewegungen entstanden sind, ja einschlägige
Erfahrungen gemacht. Die Statt-Partei hat sich einst binnen einer
Wahlperiode selbst zerlegt, die Schill-Partei zuletzt ebenso.
Monothematisch Stimmungen zu erzeugen und zu nutzen, ist das eine –
mit breiter Verantwortung und weitem Blick für das Ganze Politik zu
gestalten, das andere. Deshalb Vorsicht vor Protestparteien.
Pressekontakt:
Flensburger Tageblatt
Nachrichtenredaktion
(Anette Asmussen)
Telefon: 0461 808-1060
redaktion@shz.de