Von Kai Pfundt
Was es bedeutet, wenn kleine Berufsverbände und
Mini-Gewerkschaften für ihre Mitglieder das Maximum herausholen
wollen, lässt sich bei der Lufthansa bebachten. Der Luftfahrtkonzern
muss sich in Tarifverhandlungen mit der Pilotengewerkschaft Cockpit
auseinandersetzen, mit der Stewardessenvertretung UFO und mit der
Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Alle drei Organisationen besitzen
das Potenzial, den Lufthansa-Betrieb maßgeblich zu beeinträchtigen,
wenn nicht komplett lahmzulegen. Diesen Einfluss haben sie in der
Vergangenheit wiederholt genutzt, um teilweise spektakuläre
Abschlüsse herauszuschlagen. Welche Macht entschlossene
Berufsorganisationen ausspielen können, haben auch Ärzte und
Lokführer eindrucksvoll bewiesen – zum Teil auf dem Rücken von
Bahnreisenden und Patienten. Insofern bedeutet die gestrige
Entscheidung der Bundesarbeitsrichter, die die eiserne Regel „Ein
Betrieb – ein Tarifvertrag“ für nichtig erklärten, einen Einschnitt,
dessen Auswirkungen kaum zu ermessen sind. Das bisherige System
begünstigte zwar eindeutig die großen DGB-Gewerkschaften, die sich
nun entsprechend beklagen. Es sorgte aber zugleich für Stabilität und
berechenbare Verhältnisse in den Betrieben. Das System der
Flächentarife, das sich zuletzt in der Krise hervorragend bewährte,
gerät durch die höchstrichterliche Entscheidung in ernste Gefahr.
Gerade mittelständische Branchen dürften sich bei der Vorstellung,
mit drei oder vier Gewerkschaften Tarifverhandlungen führen zu
müssen, die Haare raufen. Der Richterspruch beinhaltet somit einen
Auftrag an den Gesetzgeber, den bisherigen Zustand gerichtsfest
wiederherzustellen.
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