
Acht oder neun Jahre bis zum Abitur: Wenn es nach den Eltern geht,
ist die bedingungslose Beibehaltung von G8 an allen Gymnasien in
Nordrhein-Westfalen keine Option. Nur 8 % wollen das. Für die
vollständige Rückkehr zu G9 sprechen sich 40 % aus. 39 % wünschen
sich, dass Gymnasien ihre Oberstufe so organisieren, dass die
Schülerinnen und Schüler sie in zwei oder drei Jahren durchlaufen
können. Dass jedes Gymnasium selbst entscheidet, ob es einen G8- oder
G9-Bildungsgang anbietet, können sich lediglich 9 % vorstellen. Dies
zeigt die JAKO-O Bildungsstudie regional Nordrhein-Westfalen, die
heute in Düsseldorf veröffentlicht wurde. Für die repräsentative
Untersuchung befragte das Meinungsforschungsinstitut Mentefactum in
Zusammenarbeit mit Kantar Emnid in Nordrhein-Westfalen 500 Eltern
schulpflichtiger Kinder.
Viel wurde in den letzten Jahren über die Zukunft des umstrittenen
Turbo-Abiturs diskutiert. Zumindest die Meinung der Eltern war
eindeutig: Bundesweit sprachen sich 2014 noch 79 % der Eltern für die
vollständige Rückkehr zu G9 an allen Gymnasien aus.* „Wenn
Wahlmodelle zur Flexibilisierung des Abiturs angeboten werden,
scheint diese Position bei Eltern nicht mehr mehrheitsfähig zu sein“,
sagte die Schulforscherin Prof. Dr. Dagmar Killus von der Universität
Hamburg bei der Präsentation der Studienergebnisse in Düsseldorf. Das
sogenannte „Abitur im eigenen Takt“ erhält -zumindest in
Nordrhein-Westfalen – eine ebenso hohe Zustimmung bei den Eltern wie
die Rückkehr zu G9. Killus formuliert es so: „Viele Eltern in
Nordrhein-Westfalen akzeptieren G8 am Gymnasien, wenn die Familien
selbst entscheiden dürfen, ob ihr Kind darin einbezogen wird.“
Hingegen sind nur sehr wenige Eltern von der Idee überzeugt, dass
jedes Gymnasium selbst entscheiden soll, ob G8 oder G9 angeboten
wird. Dies läge möglicherweise daran, dass Eltern eine unheilvolle
Konkurrenz zwischen G8- und G9-Gymnasien sowie Schwierigkeiten bei
einem Schulwechsel ihres Kindes befürchteten, so Killus.
Inklusion und Integration von Flüchtlingskindern: größere
Anstrengungen gefordert
Den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne
Beeinträchtigungen befürworten die Eltern in Nordrhein-Westfalen –
wie auch bundesweit – nicht vorbehaltlos. Wenn es um körperlich
beeinträchtigte Kinder und um Kinder mit Lernschwierigkeiten geht,
findet der gemeinsame Unterricht große Unterstützung: 89 %
(bundesweit: 91 %*) bzw. 65 % (bundesweit: 71 %*) finden das richtig.
Deutlich weniger Zustimmung erhält die Inklusion
verhaltensauffälliger (40 %; bundesweit: 45 %*) und geistig
beeinträchtigter Kinder (35 %; bundesweit: 43 %*). Die Zurückhaltung
der Eltern könnte daran liegen, dass aus ihrer Sicht die
Voraussetzungen für gelingende Inklusion an den Schulen noch nicht
gegeben sind. Zumindest fordern zwei Drittel der Eltern (66 %) mehr
Engagement seitens der Politik: Die Landesregierung solle deutlich
mehr Mittel zur Verfügung und die schulische Inklusion entschiedener
vorantreiben.
Dies gilt auch für die Integration von Flüchtlingskindern: Eine
breite Mehrheit (78 %) begrüßt die Einstellung zusätzlicher
Lehrerinnen und Lehrer. Das genügt in den Augen vieler Eltern jedoch
nicht. Fast die Hälfte (46 %) kritisiert, die Landesregierung
unternehme insgesamt zu wenig, um Flüchtlingskinder mit guter
Schulbildung zu versorgen. Drei Viertel (76 %) der Befragten geben
an, dass die Schule ihres Kindes von Flüchtlingskindern besucht wird.
Jeder Zweite (48 %) von ihnen sagt, an der Schule des eigenen Kindes
habe es besondere Unterstützungsmaßnahmen für die neuen Schülerinnen
und Schüler gegeben. Zu Einschränkungen des Schulbetriebs hat die
veränderte Situation kaum geführt: 81 % der Eltern sagen, alles läuft
wie immer.
„Die Studienergebnisse zur Inklusion und Integration der
Flüchtlingskinder belegen die große Solidarität der Elternschaft in
Nordrhein-Westfalen mit allen schwächeren und benachteiligten
Schülerinnen und Schülern“, sagte Petra Windeck vom Deutschen
Familienverband NRW bei der Studienveröffentlichung.
Ganztagsschulen: Bedarf größer als Angebot
72 % der Eltern in Nordrhein-Westfalen wünschen sich eine
Ganztagsschule für ihr Kind. Das offene Konzept mit freiwilligem
Nachmittagsprogramm findet mit 42 % mehr Zustimmung als die gebundene
Ganztagsschule (30 %). Tatsächlich geben aber nur 49 % der Eltern an,
dass ihr Kind eine Ganztagsschule besucht – 30 % die gebundene, 19 %
die freiwillige Form. „Die Ganztagsschule stößt bei Eltern seit
Jahren auf eine konstant hohe Zustimmung“, sagt Killus. „Allerdings
kann der Bedarf bisher in keinem Bundesland annähernd gedeckt werden.
Um die Versorgungslücke zu schließen, muss das Angebot daher dringend
kräftig ausgebaut werden.“
Massiver Unterrichtsausfall nur an Gymnasien und Realschulen
Dass ihr Kind selten oder so gut wie gar nicht von
Unterrichtsausfall betroffen ist, sagen 55 % der Eltern. 44 % geben
an, dass der Unterricht wöchentlich oder zumindest ein- bis zweimal
im Monat ausfällt. Dabei zeigen sich immense schulformspezifische
Unterschiede: Während nur 3 % der Grundschuleltern und 8 % der
Gesamtschuleltern einen massiven Unterrichtsausfall („fast
wöchentlich“) beklagen, tun dies 27 % der Gymnasialeltern und sogar
43 % der Realschuleltern. „Diese deutlichen Schulformunterschiede
lassen sich nur zum Teil erklären“, so Killus. „Es könnte eine Rolle
spielen, dass es in der Grundschule wahrscheinlich einfacher ist,
Vertretungen zu organisieren als im fachgebundenen Unterricht der
Sekundarstufe.“
Gute „Noten“ für Lehrer und Schulen
Durchweg positiv ist die Sicht der Eltern auf die Lehrerinnen und
Lehrer ihrer Kinder. Sie halten sie für fachlich kompetent (87 %) und
engagiert (80 %). Außerdem setzen sie sich für gute Beziehungen zu
ihren Schülerinnen und Schülern ein (82 %) und können deren Interesse
wecken (74 %). Demgegenüber schneiden die Kompetenzen der Lehrer, die
sich auf den Umgang mit Heterogenität beziehen, im Vergleich weniger
gut ab: Einen guten Umgang mit unterschiedlichen sprachlichen
Voraussetzungen erkennen 60 % der Eltern, 65 % glauben, dass die
Lehrerinnen und Lehrer alles tun, damit auch die Schwächeren
mitkommen. Und auch, dass die Lehrerinnen und Lehrer neue
Unterrichtsmethoden einsetzen, meinen nur 60 % der Eltern.
Auch die Bedingungen an den Schulen bewerten die Eltern recht gut.
Dies sind vor allem gute soziale Beziehungen in den Klassen (83 %)
oder die Ausrichtung der Schule an einem eigenen Profil (70 %). Die
Klassengröße und die technische Ausstattung beurteilen die Eltern in
Nordrhein-Westfalen allerdings etwas kritischer als bundesweit (69 %
zu 76 %* bzw. 67 % zu 77 %*). Die niedrigsten Prozentwerte entfallen
auf das Angebot von Aktivitäten, die über den Unterricht hinausgehen
(58 %) und auf die Antwortvorgabe „kaum Unterrichtsausfall“ (59 %).
Weniger „Hausaufgaben“ für Eltern in NRW
Die Ergebnisse der vorangegangenen JAKO-O Bildungsstudien zeigen,
dass Eltern in der eigenen Wahrnehmung vieles von dem leisten müssen,
was eigentlich Aufgabe der Schule ist. 2010** stimmten bundesweit 67
% der Eltern dieser Aussage zu, 2014* immerhin noch 62 %. In
Nordrhein-Westfalen sind es mit 43 % deutlich weniger. Killus:
„Möglicherweise hat die Ganztagsschulentwicklung den Grundstein für
umfassende Veränderungsprozesse gelegt, die auch dazu führen, dass
Hausaufgaben zunehmend durch Übungs- und Lernzeiten in den Schulen
ersetzt werden. Das positive Ergebnis in Nordrhein-Westfalen könnte
damit zusammenhängen, dass die Ganztagschulentwicklung hier weiter
fortgeschritten ist, als in manchen anderen Bundesländern.“ Diese
Annahme wird durch die unterschiedliche Einschätzung der Eltern an
den verschiedenen Schulformen gestützt: Dass sie vieles von dem
leisten müssen, was Aufgabe der Schule ist, sagen 46 % der Eltern,
deren Kind eine Halbtagschule besucht, 40 % der Eltern mit einem Kind
auf einer Ganztagsschule mit freiwilligem Nachmittagsprogramm und nur
35 % der Ganztagsschuleltern mit verbindlichem Nachmittagsprogramm.
Aktuelle Bildungspolitik in NRW: fast die Hälfte ist unzufrieden
Das Gesamturteil der Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen fällt
unterschiedlich aus: 48 % der Eltern halten sie für schlechter als in
anderen Bundesländern, 30 % für besser. 23 % trauen sich kein Urteil
zu. Im Vergleich zur schwarz-gelben Vorgängerregierung hat sich unter
Rot-Grün der Einschätzung der Eltern nach allerdings nicht viel
verändert, weder zum Positiven noch zum Negativen: 30 % halten die
Bildungspolitik unter Ministerpräsidentin Kraft für besser, 28 % für
schlechter als unter Ex-Ministerpräsident Rüttgers. 4 von 10 Eltern
(41 %) haben hierzu keine Meinung. Und dies, obwohl die
Bildungspolitik noch vor der Familienpolitik (72 % bzw. 65 % „sehr
wichtig“) das wichtigste Politikfeld für die eigene Wahlentscheidung
der Eltern bei der Landtagswahl am 14. Mai ist.
* 3. JAKO-O Bildungsstudie 2014, ** 1. JAKO-O Bildungsstudie 2010
Druckfähige Ergebnisgrafiken und Bildmaterial können hier
heruntergeladen werden: http://bit.ly/bildungsstudie_nrw
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