Gregor Gysi im stern: „Ich habe mich zu wichtig genommen“

Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor
Gysi, zieht eine selbstkritische Bilanz. „Wenn ich gewusst hätte, was
alles auf mich zukommt, hätte ich es höchstwahrscheinlich nicht
gemacht“, sagt er mit Blick auf seine politische Karriere im
Interview mit dem Hamburger Magazin stern. Nach 26 Jahren in
politischen Spitzenfunktionen will der Politiker ab Oktober kürzer
treten. Er habe in diesen Jahren Freunde und Familie vernachlässigt.
„Das bezahlt man teuer“, so Gysi. „Ich habe mich auch zu wichtig
genommen.“

Im Gespräch mit dem stern kündigt der 67-Jährige an, sich künftig
stärker um seinen Beruf als Anwalt kümmern zu wollen. Er müsse
allerdings nicht mehr jedes Mandat übernehmen. „Aber wenn eine kleine
Firma was erfindet, und dann eine sehr große Firma kommt und Druck
ausübt. Für die kleine Firma bin ich dann sehr geeignet“, sagt Gysi.
Im Oktober wolle er außerdem damit beginnen, eine Autobiografie zu
schreiben. „Das wird sicher anstrengend. Ich habe nie Tagebuch
geführt.“

Offenbar sieht Gysi eine Chance auf Aussöhnung mit seinem
einstigen Mitstreiter Oskar Lafontaine. Im Streit um die Ausrichtung
der fusionierten Linkspartei war es 2012 zum Zerwürfnis des
Spitzenduos der Partei gekommen. Gysi habe Lafontaine kürzlich im
Saarland getroffen. „Unser Verhältnis war schwierig, aber ich glaube,
es wird wieder besser werden“, sagt Gysi. Lafontaine ist verheiratet
mit Sahra Wagenknecht. Die Vertreterin des linken Parteiflügels
könnte Gysis Nachfolgerin im Fraktionsvorsitz werden.

Eine Rückkehr in ein politisches Spitzenamt schließt Gysi
weiterhin aus. Weder wolle er Minister einer rot-rot-grünen
Bundesregierung werden noch Spitzenkandidat der Linken zur
Bundestagswahl 2017. „Ich darf so einen Gedanken gar nicht erst
zulassen“, sagt Gysi. „Ich muss sicher lernen, öfter mal wegzugucken.
Aber wenn ich die Verantwortung abgebe, kann ich nicht heimlich
weiter führen wollen.“ Über eine erneute Kandidatur für den Bundestag
wolle er frühestens im kommenden Jahr entscheiden.

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