HAMBURGER ABENDBLATT: Hamburger Abendblatt zu Rechtsterrorismus

Ein Kommentar von Christoph Rind

Noch kennen wir nicht die wahre Dimension des Neonazi-Terrors. Wie
viele Menschen haben die rechtsextremen Untergrundtäter tatsächlich
umgebracht? Wie verstrickt sind vom Verfassungsschutz bezahlte
Verbindungspersonen, sogenannte V-Leute, in die Untaten gegen
griechisch- und türkischstämmige Mitbürger und gegen Polizisten? Wer
hat sonst noch versagt in unserem Staat, der das Recht in seinem
Namen führt? Was haben die ermittelnden Behörden versäumt, was die
mit der Aufklärung der Mordtaten beauftragten Kriminalbeamten? Das
alles muss zügig aufgeklärt werden, umfassend und lückenlos. Um den
braunen Sumpf in einem weiteren Schritt so schnell wie irgendwie
möglich trocken zu legen, darf auch keine Ausrede mit Hinweis auf
eine mögliche Enttarnung der V-Leute mehr gelten, von denen bis zu
hundert in der NPD aktiv sein sollen. Die puzzlehafte Aufklärung ist
mühsam und braucht Zeit. Aber die haben wir nicht. Denn in diesen
Tagen der beschämenden Erkenntnisse geht es auch darum geht, nicht
nur einen Moment empört innezuhalten und dann wieder in den von
Gleichgültigkeit geprägten Alltag einzutauchen, in dem gewöhnlich
kein Platz ist, öffentlich Scham und Mitgefühl für die Opfer und
deren Angehörige zu zeigen. Der Buß- und Bettag vor zwei Tagen, der
Feiertag mit evangelischer Tradition, den die Regierung Kohl 1994 aus
wirtschaftlichen Erwägungen geopfert hat, wäre ein passender Termin
gewesen, Betroffenheit zu spüren und zu offenbaren. Mehr noch: das
Versagen vieler zur Sprache zu bringen, Schuld durch Gleichgültigkeit
und Ignoranz zuzugeben und Fehler einzugestehen. Buße tun, heißt
auch, umzukehren vom falschen Weg und Besserung zu geloben. Ist das
zu pastoral, zu christlich-belehrend? Nein, Demut sind wir diesen
Opfern allemal schuldig. Wir, die Bürger dieses Landes, die sonst
gerne mit Lichterketten auf vielerlei Unrecht in der Welt reagieren.
Worte allein reichen nicht. Die Opfer und ihre Hinterbliebenen in den
Familien, im Freundes- und Bekanntenkreis haben es verdient, dass wir
der Toten gedenken und ihr Leid teilen. Bundespräsident Christian
Wulf (CDU) hat das im richtigen Moment erkannt, als er vom Zentralrat
der Juden mit dem Leo-Baeck-Preis geehrt wurde und bei der
Gelegenheit ankündigte, er werde die Angehörigen der Opfer der
rechtsextremen Mordserie zu sich einladen. Wir brauchen mehr Gesten
dieser Art. Nicht einer traurigen Selbstverpflichtung willen, sondern
weil sich diese Gesellschaft nur mit neuen Taten befreien kann.
Befreien von der Schuld, die wir angesichts der Opfer spüren müssen.
Denn dieses Land, und das sind wir alle, hat schmählich versagt im
Kampf gegen den Terror von rechts. Wenn wir in Zukunft Ähnliches
verhindern wollen, müssen wir mehr Entschlossenheit zeigen in unserem
Willen, die Werte des Rechtsstaates dauerhaft zu bewahren. Die um
ihre Opfer Trauernden dürfen wir nicht allein lassen. Wir müssen sie
überzeugen: Wir stehen auf eurer Seite, fühlt euch nicht ohnmächtig
und hilflos. Wir stehen euch bei. Gemeinsam können wir Schlimmes
verhindern, wenn viele dazu bereit sind. Integration bedeutet auch,
die Sorgen und Ängste der Migranten ernst zu nehmen. Ein Staatsakt
für die Opfer, wie ihn der hessische Ausländerbeirat von Bund und
Land fordert, ist überfällig. Er wäre ein sichtbares und
unmissverständliches Bekenntnis. Die Aufrechten müssen aufstehen. Ein
Wegschauen darf es nicht mehr geben.

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