Ein Kommentar von Egbert Nießler
Wieder einmal war Bonn ein Ort der Hoffnung. In der friedlichen
Stadt am Rhein berieten rund 1000 Delegierten aus 85 Ländern über die
Zukunft des nach wie vor gar nicht befriedeten Afghanistans. So wie
vor zehn Jahren, als Hamid Karsai in Abwesenheit zum Regierungschef
erkoren wurde, als das Taliban-Regime gerade mit internationaler
Hilfe gestürzt wurde und das geschundene Land einer besseren Zukunft
entgegengehen sollte. Dass die Konferenz in Bonn diesmal unter
afghanischem Vorsitz stattfindet, sei ein Zeichen wachsender
Souveränität, vermeldet stolz das Auswärtige Amt. Es ist aber auch
ein untrügliches Zeichen dafür, dass die afghanische Hauptstadt Kabul
trotz nunmehr zehnjährigen Einsatzes internationaler Truppen vom
Status einer auch nur halbwegs sicheren Kongressstadt so weit
entfernt ist wie der Hindukusch vom Siebengebirge. Und das
Tagungsmotto „Vom Übergang zur Transformation“ verheißt wesentlich
mehr Fortschritte, als tatsächlich erzielt wurden. Es klingt vor
allem nach einer gesichtswahrenden Begründung für den Abzug der
ausländischen Kampftruppen, der bis 2014 abgeschlossen werden soll.
Zwar hat die internationale Gemeinschaft in Afghanistan und in Hamid
Karsai bisher viel investiert, hat immer mehr Soldaten geschickt,
Opfer gebracht und unter der afghanischen Zivilbevölkerung Opfer
verursacht, Infrastruktur aufgebaut und versucht, das Rechtssystem zu
stärken. Unter dem Strich ist aber wenig erreicht worden: Die Taliban
sind wieder erstarkt, Unsicherheit herrscht im ganzen Land, der
Drogenanbau floriert, Regierung wie Verwaltung gelten als die
korruptesten der Welt. Das entscheidende Manko der Bonner Konferenz
ist aber die Abwesenheit der wichtigsten Akteure: der Taliban und
Pakistans. Die einen wurden als extremistische Fanatiker erst gar
nicht eingeladen. Die anderen haben kurzfristig abgesagt, weil bei
einem Nato-Einsatz auf pakistanischem Staatsgebiet 24 Soldaten
getötet wurden. Der vorerst letzte in einer Reihe von Zwischenfällen
dieser Art. Frieden schließt man aber nicht mit Freunden und
Verbündeten, sondern mit seinen Feinden. Ohne die Taliban wird es
keine Befriedung Afghanistans geben. Ohne Beteiligung Pakistans auch
nicht, denn die benachbarte Atommacht gilt seit Langem als unsicherer
Kantonist. Auf dessen Gebiet konnte Osama bin Laden jahrelang
unbehelligt leben. Vom Geheimdienst ISI wurden die Taliban erst
ausgebildet. Islamabad setzt fanatische Moslems gern auch als Kämpfer
gegen den Erzrivalen Indien im Kampf um Kaschmir ein. Zudem dienen
die unzugänglichen Grenzprovinzen Aufständischen aller Art seit
Generationen als Rückzugs- und Rekrutierungsraum, sie sind mithin der
Schlüssel für einen Frieden in Afghanistan. In Bonn wurde gestern
materielle Hilfe auch für die zehn Jahre nach dem Truppenabzug
versprochen. Man werde die Afghanen nicht allein lassen. Mag sein.
Vermutlich aber wird sich Afghanistan wieder von der Welt abwenden,
wenn die Taliban nach dem westlichen Truppenabzug erneut nach der
Macht greifen, in Konkurrenz mit Warlords und Stammesführern. Dann
droht das Land erneut in Bürgerkrieg zu versinken. Und über kurz oder
lang beginnt wieder das alte „Great Game“, das große Spiel, der
Mächte um das strategisch wichtige Land im Herzen Asiens mit seinen
Verbindungswegen und Bodenschätzen. Bonn hat vor allem gezeigt, dass
die bisherige Afghanistan-Strategie des Westens mehr von Hoffnungen
und Illusionen denn von realistischen Annahmen und Zielen geleitet
war. Im Sinne der leidgeprüften Bevölkerung und des sinnvollen
Einsatzes von Geldern und Soldatenleben muss eine neue her – und zwar
unter Einbeziehung aller Beteiligten.
Pressekontakt:
HAMBURGER ABENDBLATT
Ressortleiter Meinung
Dr. Christoph Rind
Telefon: +49 40 347 234 57
Fax: +49 40 347 261 10
christoph.rind@abendblatt.de meinung@abendblatt.de
Weitere Informationen unter:
http://