Ein Kommentar von Egbert Nießler
Guido Westerwelles Ausrutscher auf dem diplomatischen Parkett
begannen schon einen Monat vor seinem Antritt als Außenminister. Auf
der ersten Pressekonferenz nach dem grandiosen
14,6-Prozent-Wahlerfolg seiner Liberalen beschied er einen
BBC-Journalisten, dass auf deutschen Pressekonferenzen Deutsch
gesprochen werde. Sachlich richtig – in der Form aber so uncharmant
vorgetragen, dass seit diesem Tag nie wieder die Zweifel verstummten,
ob er denn bei der Berufswahl die nötige Sorgfalt habe walten lassen.
Wegen seines vehementen Einsatzes in Steuerfragen vermuteten viele in
ihm eher den neuen Wirtschafts- oder Finanzminister. Auf diesem Feld
versuchte er sich bei seinen ersten Auslandsreisen – und protegierte
dabei ausgerechnet Firmen und Unternehmer, die ihm persönlich
nahestanden. Was natürlich nicht ohne Kritik blieb. Auf dem
Landesparteitag der nordrhein-westfälischen FDP versuchte er zu
kontern. „The published opinion is not always the public opinion“
(„Die veröffentlichte Meinung ist nicht immer die öffentliche
Meinung“), rief er sichtlich ?erregt und begeistert ob seiner
kommenden Pointe auf die in den hinteren Reihen sitzenden
Medienvertreter deutend in den Saal. Und fügte hinzu: „That–s
English. Ihr kauft mir den Schneid nicht ab.“ Die Presse hat das
tatsächlich nicht geschafft – falls es je ihre Absicht gewesen sein
sollte. Es ist eine der wenigen Leistungen, die sich ?Westerwelle in
seiner Zeit als Außenminister allein auf die eigene Fahne schreiben
kann. Und führten alle bisherigen Fauxpas lediglich zum Verlust von
Parteivorsitz und Vizekanzlerschaft sowie zu erheblicher
innerparteilicher Verstimmung, geht es seit dem Nein zum Nato-Einsatz
in Libyen für den Außenminister um die politische Existenz.
Westerwelle hat es nicht nur geschafft, seine Partei wieder unter die
Fünf-Prozent-Marke zu bringen und als Außenminister das untere Ende
der Beliebtheitsskala zu erreichen, er hat Deutschland auch gegen
seine Verbündeten positioniert, dann viel zu lange gebraucht, diesen
Fehler halbherzig einzugestehen – und das nur unter erheblichem
Druck. Dass er jetzt nicht sofort gehen muss, liegt zuallerletzt an
den bevorstehenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und
Berlin. Dort ist die Bedeutung der Liberalen ohnehin kaum im
messbaren Bereich. Es liegt vielmehr an den mangelnden personellen
Alternativen in seiner Partei. Jedes Revirement würde Lücken an
anderer Stelle reißen. Und es liegt daran, dass Westerwelle zwar
Außenminister ist, die Richtlinien der Politik aber von der
Bundeskanzlerin bestimmt werden. Der Anteil Angela Merkels an der
Libyen-Entscheidung ist bisher ungeklärt. Hat sie ihrem Minister die
Richtung vorgegeben, ist es vor allem ihr Problem; hat sie sich
überreden oder überrumpeln lassen, ebenso. Wie auch immer, ein
erfahrener und weitsichtiger deutscher Chefdiplomat hätte alles dafür
tun müssen, zu einem anderen Entschluss zu kommen. Nun ist
Westerwelle noch im Amt, weil sich die Koalition mitten in der
Euro-Krise und nach mäßiger Halbzeitbilanz nicht eine weitere
Großbaustelle leisten kann. Und die Bundesrepublik ist um die
Erkenntnis reicher, dass ein überaus erfolgreicher Parteisoldat, der
sich auf seinem Weg nach oben durch Beharrlichkeit auszeichnete, sich
von Rückschlägen nicht entmutigen ließ und erfolgreich alle
Konkurrenten und Hindernisse ausräumte, nicht automatisch ein guter
Staatsmann sein muss. Für Westerwelle war am 27. September 2009, dem
Tag der Bundestagswahl, um es noch einmal auf Englisch zu sagen,
„Mission accomplished“, der Auftrag erfüllt. Längerfristig im Amt zu
bleiben gleicht eher einer „Mission impossible“ – ist, frei
übersetzt, schwer vorstellbar.
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