HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu USA und Taliban-Schändung

Ein Kommentar von Thomas Frankenfeld

Dass der Krieg geeignet ist, die dunkelsten Seiten der
menschlichen Natur hervorzukehren, ist keine sonderlich neue
Erkenntnis. Die zehntausende Jahre alte Geschichte unserer Spezies
ist, soweit dokumentiert, über weite Strecken eine Abfolge von
Gräueltaten. Unter bestimmten Umständen – wie eben im Krieg – reißt
auch heute noch beunruhigend schnell der durch Bildung und Aufklärung
verdichtete zivilisatorische Firnis. Dass US-Elitesoldaten unter
zynischen Sprüchen auf die blutigen Leichen ihrer getöteten Feinde
urinieren, ist widerwärtig und nicht zu entschuldigen. Man kann
allenfalls den verzweifelten Versuch einer Erklärung wagen. Diese
jungen Männer, mutmaßlich allesamt keine Leuchten, stehen unter dem
mörderischen Druck einer allgegenwärtigen Todesgefahr, den sich ein
Normalbürger nicht einmal ansatzweise vorstellen kann. Mehr als
Tausend ihrer Kameraden sind auf den Killing Fields des Hindukusch
bereits durch Sprengfallen und Hinterhalte erbarmungsloser
Taliban-Krieger ums Leben gekommen. Gelingt es Soldaten, den Feind zu
überwältigen, so kann es wohl dazu kommen, dass sich aufgestaute
Emotionen in einer letzten, barbarischen Geste des Sieges entladen.
Die Kriegsgeschichte kennt zahllose Beispiele der Schändungen von
gefallenen Gegnern – was die aktuellen Vorfälle nicht akzeptabler
macht. Amerikas Militär, dessen Renommee ohnehin schwer belastet ist
mit diversen Folter- und Massaker-Prozessen, den verstörenden
Vorgängen in Abu Ghraib und Guantánamo sowie zivilen Opfern der
Drohnen-Angriffe in Pakistan, kann sich ein derart ekelhaftes und
menschenverachtendes Verhalten seines Militärs nicht leisten. Die
USA, die viel zu lange an befreundeten arabischen Despoten wie dem
ägyptischen Pharao Mubarak festhielten und denen es einfach nicht
gelingen will, den hartleibigen Verbündeten Israel zu ernsthaften
Zugeständnissen zu bewegen, haben derzeit ohnehin einen schweren
Stand in der islamischen Welt. Die auf YouTube vorgeführte Schändung
toter Muslime ist durchaus geeignet, den weit verbreiteten Hass auf
die USA weiter anzufachen. Das ist tragisch – stehen die Vereinigten
Staaten doch schließlich für eine demokratische, pluralistische
Gesellschaft, von der weite Teile der islamischen Welt bislang nur
träumen können. Die vergleichsweise zurückhaltende Reaktion der
Taliban hat den Hintergrund, dass sie gegenwärtig zumindest erwägen,
Friedensgespräche mit den USA aufzunehmen. Die Gotteskrieger sind vor
allem durch den schlagkräftigen Einsatz amerikanischer
Spezialeinheiten militärisch geschwächt und können am
Verhandlungstisch nur gewinnen. Den USA wiederum geht es darum, aus
diesem kräftezehrenden Konflikt ohne weiteren Gesichts- und
Blutverlust zügig herauszukommen. Das unerträgliche Verhalten einiger
Schwachköpfe in Uniform gefährdet nicht nur diese Pläne, sondern auch
das Leben anderer amerikanischer Soldaten. Denn die Taliban könnten
sich bemüßigt fühlen, im Namen der geschändeten Muslime werbewirksam
Rache zu üben. Barack Obama, der sich stets um Ausgleich mit der
islamischen Welt bemüht hat, dürfte vor Wut kochen. Seine Regierung
steht unversehens ein weiteres Mal am Pranger und steht nun vor der
Aufgabe, sehr schnell und sehr überzeugend deutlich zu machen, dass
dieser Skandal in unerträglicher Weise auch die kulturellen Werte
Amerikas verletzt.

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