
Übergroße Freude und Jubel, verbunden mit tiefer Erleichterung: Diese Gefühle stehen zu Recht im Vordergrund angesichts der Nachricht, dass sich für die etwa 20 noch lebenden israelischen Geiseln ein Ende ihrer Gefangenschaft in der Hand der Terrororganisation Hamas und ihrer Komplizen abzeichnen könnte. Damit kann ein Heilungsprozess beginnen – für die Geiseln und ihre Familien, aber auch für die israelische Gesellschaft als Ganze. Zudem gibt es nun Hoffnung darauf, dass die Kämpfe im Gazastreifen – dort, wo der Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober 2023 gestartet wurde – tatsächlich enden und Hilfsgüter besser verteilt werden können.
US-Präsident Donald Trump kann das Waffenruhe-Abkommen zu Recht als seinen Erfolg ansehen – allerdings mit zwei Einschränkungen: Die Einigung bedeutet kein definitives Kriegsende. Und: Sie ist Trump maßgeblich, aber nicht allein zuzuschreiben.
Druck auf die Freude und Förderer der Hamas
Alle Beteiligten, auch der US-Präsident selbst, standen unter Druck. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte mit seinem Angriff auf Hamas-Leute in Katar einen Punkt erreicht, an dem Trump seine Grenzüberschreitungen nicht mehr akzeptierte. Dass Saudi-Arabien als Reaktion auf Israels Vorgehen den Schutz der inoffiziellen Atommacht Pakistan suchte, konnte wiederum Trump nicht gleichgültig sein. Katar selbst spürte, wie gefährlich die bisherige Schaukelpolitik gegenüber der Hamas und dem Westen war, und Hamas-Freund Recep Tayyip Erdogan in Ankara konnte für sein Land analoge Schlüsse ziehen. Mit islamistischen Terroristen kungeln und gleichzeitig in den USA F-35-Kampfjets bestellen, das geht nicht.
Angesichts dieses Drucks auf ihre Freunde und Förderer musste die Hamas einlenken. Aber Israel zahlt für die Freiheit der Geiseln einen hohen Preis. Da ist einerseits die Haftentlassung von 2000 Palästinensern, darunter vielen Schwerverbrechern. Da ist zum anderen die Räumung von 70 Prozent des Gazastreifens. Das Abkommen, das nur Bruchstücke von Trumps 20-Punkte-Plan enthält, regelt nicht, wer die Kontrolle im geräumten Gebiet gewährleistet und die versprochene Hamas-Entwaffnung überwacht. Es genügt nicht, ein paar Gewehre auf einen Haufen zu werfen, sondern immense Mengen an Sprengstoff müssen geräumt werden. Das werden die Hamas und andere Milizen zu hintertreiben versuchen. Die Popularität der Hamas hat laut Umfragen zwar abgenommen, aber sie wird wieder wachsen, wenn von Israel freigelassene Terrorkämpfer daheim triumphal empfangen werden. Und wenn Hamas-Leute wieder in größerem Stil Geld und andere Ressourcen verteilen können.
Das bedeutet auch: Wenn nicht bald Regeln zur Liquidierung der Hamas beschlossen und ihre Durchsetzung – von wem? – militärisch garantiert wird, gibt es auf unabsehbare Zeit keine Chance für die Gründung eines Palästinenserstaates. Denn ein von der Hamas als besonders radikaler Version der Muslimbruderschaft auch nur mitregierter Staat wäre für die arabischen Nachbarn eine existenzielle Bedrohung. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und seine Leute im Westjordanland müssten ohnehin froh sein, wenn sie nach einem Abzug der Israelis nicht à la Gaza vor einem Hamas-Exekutionskommando landen.
Einen Sieg in Gaza zu seinen Bedingungen hat Netanjahu nicht erreicht. Aber wenn dank Hamas der Weg zu einem Palästinenserstaat weiter blockiert wäre, hätte sich der von ganz Israel gezahlte Preis für Netanjahu und seine extremistischen Partner persönlich gelohnt. Die bösen Folgen würden jene Israelis und Palästinenser spüren, die einfach nur in Frieden leben wollen. Deutschland und die EU sollten sich angesichts dieser Ungewissheit fragen, ob ihre Wiederaufbau-Zusagen nicht voreilig sind. In Gebieten, in denen die Hamas das Sagen hat – und ist zu befürchten, dass es in großen Teilen des Gazastreifens dabei bleibt -, ist nur Nothilfe etwa mit Essen und Medikamenten vertretbar. Alle anderen Hilfsleistungen kann man dort in den Wind schreiben. Wir haben das mit dem Gaza-Aufbauprogramm nach 2007 schon einmal erlebt.
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