Freispruch für »junge Welt«
Berliner Staatsantwaltschaft scheitert mit Strafverfahren gegen
Geschäftsführer
Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat den Geschäftsführer der
jungen Welt am Montag davon freigesprochen, er habe »öffentlich zu
rechtswidrigen Taten aufgefordert«. Die Staatsanwaltschaft hatte
Dietmar Koschmieder vorgeworfen, als Domaininhaber der
jW-Internetseite für die Veröffentlichung eines Aufrufs mit der
Überschrift »Castoren ausbremsen« verantwortlich zu sein. junge Welt
hatte am 30. Oktober 2010 in der Rubrik »abgeschrieben« ein Flugblatt
auszugsweise dokumentiert, in dem ein »Lektionskomitee Notbremse«
Bürger dazu aufrief, am Tag des Castortransportes Züge der Deutschen
Bahn AG durch Ziehen der Notbremse zum Stillstand zu bringen. Die
Staatsanwaltschaft beschuldigte Koschmieder, diesen Aufruf
veröffentlicht zu haben, um Leser zur Tat anzustiften.
Rechtsanwalt Johannes Eisenberg betonte hingegen, daß der
Angeklagte in keiner Weise an der redaktionellen Entscheidung
mitgewirkt habe. Seine Funktion als Domaininhaber begründet eine
Strafbarkeit keineswegs, was Eisenberg mit einigen Grundsatzurteilen
nachwies. Die Staatsanwaltschaft habe auch keinerlei Beweismittel
vorgebracht, nach denen Koschmieder die Tat begangen oder gewollt
habe. Hinzu kommt, daß unter »abgeschrieben« in jW regelmäßig Texte
und Dokumente zitiert werden, die ausdrücklich keine Beiträge der
Redaktion seien. Die Redaktion mache sich diese nicht zu eigen.
Eisenberg ergänzte, eine Strafbarkeit entfalle schon deshalb, weil es
der Presse unbenommen ist, über die Öffentlichkeit wesentlich
interessierende Aktivitäten zu unterrichten, auch beispielsweise
durch das Zugänglichmachen von Originaldokumenten und Schriften. »Bei
gewissenhafter Beachtung der geltenden Rechtslage hätten die
Ermittlungen nicht zu einer Anklage führen dürfen«, so Eisenberg.
Der Anwalt äußerte den Verdacht, daß mit dem Prozeß
verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden, nämlich die Mundtotmachung
einer mißliebigen Zeitung. »Wir kennen das eigentlich nicht aus der
zentraleuropäischen Rechtskultur, nehmen aber zur Kenntnis, daß
derartige Bestrebungen auf dem Vormarsch sind. In Ungarn sind sie
bereits in Gesetzesform gegossen. Im Rechtsraum des Grundgesetzes
steht noch Artikel 5 dagegen«, meinte Eisenberg. Er verwies darauf,
daß Die Welt bereits am 15. August darüber berichtet hatte, daß
Verlagsgeschäftsführer Koschmieder »Ärger mit der Justiz« habe. junge
Welt habe, »um Castortransporte zu verhindern, einen Text gedruckt,
der dazu ermunterte, den Bahnverkehr landesweit durch das Betätigen
der Notbremse in Zügen zum Stillstand zu bringen«, behauptete das
Springer-Blatt. Zu diesem Zeitpunkt war Koschmieder nicht einmal der
konkrete Tatvorwurf bekannt, eine Anklage lag nicht vor.
Zum Abschluß des Prozesses plädierte auch die Staatsanwaltschaft
für einen Freispruch. Der Richter schloß sich dem an. Ein konkreter
Tatvorwurf könne dem Angeklagten nicht gemacht werden. Es sei nicht
zu ermitteln, wer für die Inhalte der Veröffentlichung persönlich
haftbar zu machen sei.
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