TOP 17: Alle Wege zum Abitur offenhalten (Drs-Nr.:
19/672)
Die Jamaika-Koalition macht eine bisher höchst effiziente
Öffentlichkeitsarbeit. Die letzte Umfrage zeigt, dass sie damit in
der Öffentlichkeit bisher recht gut durchgekommen ist, jedenfalls
gilt das für zwei der drei Koalitionspartner. Zu dieser
Öffentlichkeitsarbeit gehört ganz entscheidend auch das in unserer
Zeit so beliebte Prinzip, Fake News in die Welt zu setzen, die man
anschließend relativieren kann. Der Ministerpräsident wurde Anfang
des Jahres in der Presse mit dem Satz zitiert: „Es war ein Irrweg,
dass man gesagt hat, alle Kinder müssen Abitur machen.“ In ihrer
Antwort auf die Kleine Anfrage meines Fraktionskollegen Martin
Habersaat wurde das dann plötzlich als bloße rhetorische Zuspitzung
dargestellt. Mit solchen zumindest fahrlässigen Äußerungen wird die
Tatsache ignoriert, dass Schleswig-Holstein in der Vergangenheit zu
den Bundesländern gehört hat, in denen die Abiturquote weit unter dem
Bundesdurchschnitt lag.
Und wenn man nicht annehmen will, dass der Durchschnitt der
schleswig-holsteinischen Jugendlichen in geringerem Maße als ihre
Altersgenossen in den anderen Bundesländern die Befähigung und
Eignung zum Abitur mitbringen, kann das ja nur daran liegen, dass die
Strukturen des schleswig-holsteinischen Schulsystems es eben nicht
ermöglicht haben, alle Bildungsreserven auszuschöpfen. Dieser
Rückstand hat sich in den Amtsjahren der Küstenkoalition deutlich
verringert. Es kann aber keinen Grund dafür geben, jetzt den
Rückwärtsgang einzuschalten und sich etwa darauf zu verlassen, dass
die anderen Bundesländer uns schon in ausreichendem Maße mit
Fachkräften ausstatten, die das Abitur oder ein Studium vorweisen
können. Und wenn wir uns darauf nicht verlassen wollen und können,
bedeutet das in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein, dass es
über die 100 Gymnasien im Lande hinaus weitere Wege zum Abitur geben
muss.
Die SPD und ihre Partner in der Küstenkoalition waren sich bis vor
einem Jahr darin einig, dass wir in Schleswig-Holstein ein
Drei-Säulen-Modell haben müssen, das aus den Gymnasien, den
Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe und den Beruflichen Gymnasien
besteht. Diese Gleichrangigkeit hat die Jamaika-Koalition
aufgekündigt. Die Entscheidung, alle bis auf ein Gymnasien zu G9
zurückkehren zu lassen, hat die Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe
ein Alleinstellungsmerkmal gekostet und die Wahlfreiheit der Eltern
entscheidend eingeschränkt. Die Anmeldezahlen und die Übergangsquoten
für das nächste Schuljahr, die die Landesregierung in ihrer Antwort
auf eine weitere Kleine Anfrage von Martin Habersaat und mir
mitgeteilt hat, geben widersprüchliche Signale. Die
Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe haben fast alle nach wie vor hohe
Abweisungsquoten, die allerdings deutlich niedriger liegen als im
vergangenen Jahr, während die Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe und
die Gymnasien fast alle Schüler aufnehmen können, die bei ihnen
angemeldet wurden. Die Koalition ignoriert diesen Bedarf. In ihrem
Koalitionsvertrag schreibt sie sogar ausdrücklich, sie gehe davon
aus, „dass sich derzeit kein Bedarf für zusätzliche Oberstufen
abzeichnet“. Im Gegenteil versucht sie, Schulträger von
entsprechenden Anträgen zu vergrämen. Sie treiben mit Ihrer aktuellen
Bildungspolitik einen Keil zwischen die Gemeinschaftsschulen, die
Gymnasien und die beruflichen Schulen. Mit Ihrem Weg der
Wiedereinführung der schriftlichen Schulartempfehlung fördern Sie
genau diese Spaltung: Die einen erhalten eine Gymnasialempfehlung,
die anderen eben nicht. Das ist Spaltung. Sie verändern die
Lehrerausbildung: In Flensburg kann man zukünftig für die Oberstufe
an Gemeinschaftsschulen ausgebildet werden und in Kiel exklusiv für
das reine Gymnasium. Das ist Standesdünkel und ebenfalls eine neue
Spaltung, die sie nicht sehen wollen.
Aus Gesprächen wissen wir, dass kleine Oberstufen aus der
Koalition sehr kritisch beäugt werden, statt sie zu stärken. Und eine
schlüssige Erklärung, warum sinnvollerweise die Beruflichen Schulen
und damit auch die beruflichen Gymnasien an das
Wirtschaftsministerium übersiedeln musste, konnte mir bis heute noch
niemand schlüssig erklären. Da diese jetzt dem einen Ministerium
eigentlich nicht mehr unterstehen, bei dem anderen aber auch erst in
ca. 3-4 Jahren richtig ankommen sollen, fühlen die sich wirklich
nicht mehr auf Augenhöhe mit den anderen Gymnasien. Es liegt nun an
Ihnen, diesen Vorwurf zu akzeptieren oder ihn dadurch zu Widerlegen,
dass Sie ein tragfähiges Konzept entwickeln, wie das erfolgreiche
Drei-Säulen-Modell in unserem Land aufrechterhalten und
weiterentwickelt werden kann.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.
Pressekontakt:
Pressesprecher: Heimo Zwischenberger (h.zwischenberger@spd.ltsh.de)
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