König Salomo in Schleswig: Das Oberlandesgericht
begrenzt das künftige Vorgehen Madrids gegen Puigdemont
Von Matthias Koch,
Chefredakteur des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND)
Niemand sollte die Weisheit deutscher Oberlandesgerichte
unterschätzen. Das OLG in Schleswig jedenfalls bewies soeben im
Umgang mit dem verzwickten Fall Puigdemont eine Eleganz, die an die
sagenhaften Urteile des Königs Salomo erinnert. Wer, Freund oder
Feind des katalanischen Separatisten mit der Beatles-Frisur, will
ernsthaft etwas einwenden dagegen, dass die deutsche Justiz den
Unseligen nun erst mal freilässt – unter Auflagen?
Allzu sehr hatten manche sich in den vergangenen Tagen in
Schwarz-Weiß-Betrachtungen verbissen. Die einen sagten, es sei falsch
gewesen, Puigdemont überhaupt festzunehmen. Letztlich sei er doch nur
ein politischer Aktivist, vielleicht gar ein Anwärter fürs deutsche
Asylverfahren. Da kam mancher ins Grübeln. Die anderen sagten,
Spanien sei nun mal ein europäischer Rechtsstaat. Wenn ein
Europäischer Haftbefehl vorliege, müsse Deutschland ihn umsetzen –
anderenfalls nehme die gesamte europäische Einigung Schaden. Auch das
ist wahr.
Was also tun? Viele Betrachter in den Medien waren sich, quer
durch Deutschland und quer durch Europa, schon einig: Da wird ein
kleines Oberlandesgericht in der schleswig-holsteinischen Provinz nun
aber heillos überfordert sein.
Doch das ist es nicht. Das OLG Schleswig führt jetzt einer
staunenden deutschen und europäischen Öffentlichkeit vor, wie eine
umsichtige und faire Justiz zu differenzieren vermag. Das OLG hat
zwar einen Auslieferungshaftbefehl erlassen, dessen Vollzug aber
gegen Auflagen ausgesetzt. Damit wird das Schwarz-Weiß-Raster
überstiegen. Doch dies ist nicht irgendein Trick. Es geht um
Rechtsstaatlichkeit.
Jurastudenten lernen es in den ersten Semestern: Der Staat muss
bei Eingriffen in Freiheitsrechte stets nach dem mildesten unter
allen zweckmäßigen und geeigneten Mitteln suchen. Den Europäischen
Haftbefehl zu ignorieren war keine Option. Ein ausufernder
Zwangsaufenthalt in der Justizvollzugsanstalt Neumünster hätte aber
gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
Indem das OLG den Haftbefehl nur auf den Verdacht der Veruntreuung
stützt, nicht aber auf „Rebellion“, begrenzt es ganz nebenbei das
künftige Vorgehen Madrids gegen Puigdemont. In dieser scheinbaren
Nebensächlichkeit liegt etwas Sensationelles. Denn nach europäischem
Recht kann Puigdemont jetzt nur noch im Rahmen dieses weniger
schwerwiegenden Tatvorwurfs belangt werden.
Die theoretisch mögliche jahrzehntelange Haft ist vom Tisch –
durch eine bloße formale Entscheidung einiger kluger deutscher
Richter im beschaulichen Schleswig. Ganz nebenbei kann diese
salomonische Entscheidung aus Deutschland helfen, auch die
Aufregungen in Spanien zu dämpfen.
Pressekontakt:
Kieler Nachrichten
Newsroom-Leiter
Florian Hanauer
Telefon: 0431/903-2812
florian.hanauer@kieler-nachrichten.de
Original-Content von: Kieler Nachrichten, übermittelt durch news aktuell