Kölnische Rundschau: Kommentar Kölnische Rundschau zu Ägypten

Kalter Staatsstreich

von Sandro Schmidt

Rechtmäßiges und richtiges Handeln sind in der Politik mitunter
zwei nicht zu vereinbarende ZIelvorgaben. Es gibt in der Geschichte
diverse Beispiele im klassischen Sinne tragischer Situationen, in
denen Verantwortungsträger sich schuldig machten, egal, für welche
Handlungsalternative sie sich entschieden.

Einem solchen tragischen Moment sieht sich nun die ägyptische
Militärführung gegenüber. Hätte sie die Gesetze geachtet, hätte sie
die zweifelsohne in demokratischer Wahl und legal ins Amt gekommene
Regierung unter Präsident Mohammed Mursi gewähren lassen, dann stünde
das Land am Rande des Bürgerkriegs. Weil eine große Zahl ägyptischer
Bürger auch angesichts zunehmender sozialer Verwerfungen die
schleichende Islamisierung im Lande nicht toleriert, schwellen die
Massendemonstrationen täglich an, nimmt die Gewalt dramatisch zu.
Täglich sind mehr Tote zu beklagen. Polizei und Armee wollten nicht
gewaltsam gegen die Demonstranten mit ihren politisch berechtigten
Anliegen vorgehen, konnten aber auch die Sicherheitslage nicht weiter
erodieren lassen.

Die Muslimbrüder ihrerseits berufen sich – zu Recht – auf die
Rechtslage. Sie sind nach langen Jahrzehnten teils brutaler
Unterdrückung durch ägyptische Machthaber mit großer Mehrheit in
freien und nach allgemeiner Einschätzung fairen Wahlen an die Macht
gelangt – und wollen sich die historische Chance für einen Neuanfang
im Lande unter ihrer islamisch geprägten Führung nicht so einfach aus
der Hand schlagen lassen. Das erklärt, warum Präsident Mursi und
seine engen Vertrauten sich strikt weigern einzulenken. Notfalls
unter Einsatz seines Lebens wolle er weiter die Verantwortung für das
Land übernehmen, hat er am Dienstagabend in seiner „Trotzrede“ dem
Ultimatum der Militärs entgegengedonnert. Damit war die Chance auf
einen vom Generalstab verlangten Kompromiss mit den Oppositionellen
auf der Straße dahin.

Mit dem kalten Staatsstreich, den die Armee gestern vollzog, hat
sie sich zwar politisch schuldig gemacht, die gerade erst
eingeführten demokratischen Regeln im Land wieder außer Kraft
gesetzt, aber mutmaßlich Ägypten vor dem Chaos bewahrt und Hunderten
Bürgern das Leben gerettet. Klugerweise bezog Armeechef Abdel Fattah
al-Sissi alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte in seinen
Militärputsch mit ein. Die Muslimbrüder allerdings verweigerten sich.
Al-Sissis Vorgehen wird es mittelfristig erleichtern, den
zerbrochenen inneren Frieden in breiten Schichten der Gesellschaft
zumindest notdürftig zu kitten.

Spannend wird die Frage, wie sich die breite Bewegung der
Muslimbrüder, denen die legal erworbene Macht gestohlen worden ist,
verhält. Wird sie sich in ihr Schicksal fügen? Oder wird sie sich
spalten, ein Teil vielleicht sogar in den terroristischen Untergrund
abdriften? Auch davon wird abhängen, wie lange Ägypten nun mit einem
neuerlichen Militärregime wird leben müssen.

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