Die nächste Krise sei so sicher wie das Amen in der Kirche,
aber man wisse nicht, wann sie komme und durch was sie ausgelöst werde. So das
Narrativ seit Bewältigung der Finanzkrise. Nun wissen wir es. Es ist nicht ein
geopolitisches Risiko, das Krisenforscher und Ökonomen als Auslöser im Blick
hatten, sondern ein medizinisches, die Coronavirus-Epidemie.
Die Panik, die sich gestern rund um die Welt an den Märkten breitmachte,
erinnert an den Ausbruch der Finanzkrise 2008 und ähnlicher Krisen in früheren
Jahren. War es damals die Hilflosigkeit der Institutionen der Finanzwelt – von
den Notenbanken über die Finanzaufsichtsbehörden bis zum IWF -, die zur sich
selbst verstärkenden Wirkung beitrugen, ist es heute die Hilflosigkeit der
politischen Institutionen und Regierungen, die die Verunsicherung in der
Bevölkerung und auch an den Märkten treibt. Waren es vor zwölf Jahren die Bilder
von Schlangen vor den Geldautomaten und Bankfilialen, sind es jetzt die Bilder
von leergekauften Supermarktregalen und die Meldungen über Knappheit an
Desinfektionsmitteln und medizinischem Material wie Gesichtsmasken und
Schutzanzügen. Konnte damals die Politik als mächtige letzte Instanz auftreten
und den Notenbanken in ihrer Rolle als Lender of Last Resort zur Seite springen
– man erinnere sich an Angela Merkels Versprechen, die Spareinlagen seien sicher
-, funktioniert dies bei einer Pandemie nicht. Da gibt es keine letzte Instanz,
jedenfalls nicht auf Erden.
Es ist der gefühlte und tatsächliche Kontrollverlust, der die Menschen in Angst
versetzt, sie zu irrationalem Verhalten verleitet und Übertreibungen provoziert,
die sich dann in Hamsterkäufen oder Aktienausverkäufen dokumentieren. Geradezu
hilflos agieren Regierungen und Behörden, von der Negation der Bedrohung ganz am
Anfang über das Herunterspielen der Gefahrenfolgen bis zur hysterischen
Verschärfung in diesen Tagen. Wenn in einer Zeit, in der beispielsweise in
Deutschland die Infektionszahlen sprunghaft steigen, in der viele Arbeitgeber
ihren Mitarbeitern Home-Office verordnen und bereits Meetings mit 20 Personen
absagen, nun der Bundesgesundheitsminister empfiehlt, alle Veranstaltungen mit
mehr als 1000 Teilnehmern abzusagen, dann trägt das nicht gerade zur
Vertrauensbildung ins Krisenmanagement der Bundesregierung bei.
Wirtschaftlich betrachtet erleben wir einen Angebotsschock, dem ein
Nachfrageschock folgen wird. Die Produktionspausen und Unterbrechungen der
Lieferketten werden sich in niedrigerem Wachstum niederschlagen und
voraussichtlich in eine Rezession münden. Dass in einer solchen Lage umgehend
nach den Allzeitrettern Notenbanken gerufen wurde, ist zwar verständlich, aber
wenig zielführend. Noch jedenfalls fehlt es nicht generell an billigem Geld.
Auch wäre der Krise nicht mit noch tieferen Zinsen beizukommen. Mit Ausnahme der
US-Notenbank haben die großen Zentralbanken ihr in der Finanzkrise verschossenes
Pulver nicht wieder aufgefüllt, und auch der Spielraum der Federal Reserve ist
nach der Senkung um 50 Basispunkte nicht mehr groß, zumal die Wirkung der wenig
zielführenden Aktion umgehend verpuffte.
Bedarf besteht an gezielten Liquiditätshilfen für vom Virus getroffene
Unternehmen und Branchen, die von der Kreditwirtschaft geleistet werden können,
aber auch vom Staat durch Steuerstundungen oder befristete finanzielle Hilfen.
Hierzulande gehört auch die Lockerung der Bestimmungen für Kurzarbeitergeld zu
den sinnvollen Maßnahmen.
Das größte wirtschaftliche Risiko besteht in der Ausgangslage, in der die
Weltwirtschaft in diese Krise rutscht. Denn die weltweite Verschuldung ist seit
der Finanzkrise 2008 auf mittlerweile 322% des Welt-BIP gestiegen, das weltweite
Finanzsystem ist anfällig wie nie zuvor. Ein besonderes Risiko stellen die
Unternehmensschulden dar, die in den vergangenen Jahren aufgrund der extrem
niedrigen Zinsen weitaus schneller als Gewinne und Cash-flows nach oben gegangen
sind. Das Insolvenzrisiko wird zunehmen und Märkte und Banken infizieren.
Auch wenn es zu kurz gesprungen ist, die rasante Virusausbreitung der
Globalisierung zuzuschreiben, wird diese Pandemie die Globalisierung künftig in
einem anderen, schlechteren Licht erscheinen lassen. Zwar wurde das Virus nicht
mit den Warensendungen zwischen Kontinenten verschickt, auch nicht aus Wuhan,
sondern vor allem durch persönliche Kontakte verbreitet, seien sie nun
touristischer oder geschäftlicher Natur. Doch den Protektionisten dieser Welt
spielt die Coronakrise in die Hände. Es wird nicht bei Forderungen bleiben, die
Abhängigkeit vom Ausland bei pharmazeutischen Produkten zu reduzieren. Man kann
und wird viele Produkte als „strategisch“ definieren.
Die Coronakrise hat in wenigen Wochen einen De-Globalisierungsimpuls gesetzt,
wie dies alle Globalisierungsgegner zusammen über Jahre hinweg nicht vermochten.
Diese Folgen werden länger wirken als die Virusepidemie. Denn dem Rückgang des
internationalen Handels und der Produktion würde ein durch die Krisenbekämpfung
nochmals stark gewachsenes Geldangebot gegenüberstehen. Die vor allem von der
Globalisierung im Zaum gehaltene und von manchen Ökonomen schon für tot erklärte
Inflation würde wieder ausbrechen, die nächste Finanzkrise wäre programmiert.
Entschlossenes, aber zielgerichtetes Handeln der Notenbanken und Regierungen ist
jetzt gefragt. „Viel hilft viel“ wäre das falsche ökonomische Rezept. Sonst
könnten die schädlichen Nebenwirkungen den Nutzen schnell übersteigen.
(Börsen-Zeitung, 10.03.2020)
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