Landeszeitung Lüneburg: Das Öl der Neuzeit / „Wir zahlen immer – mit unseren Daten“ – Autor Torsten Fricke fordert weitere Schritte im Kampf gegen die Marktmacht Googles

Die EU-Kommission hat den Internet-Giganten
Google unter Druck gesetzt und im Wettbewerbsverfahren mit einer
Milliardenstrafe gedroht. Dabei geht es um den Bereich Google
Shopping und um die Handy-Plattform Android. Die EU-Kommission wirft
Google vor, dem Wettbewerb weltweit zu schaden. „Es ist ein
Kulturkampf, in dem es eher fünf nach als fünf vor zwölf ist“, sagt
Torsten Fricke, einer der Autoren des Buches „Die Akte Google“. Im
Gespräch mit unserer Zeitung betont der Journalist, dass es nur ein
erster Schritt der EU-Kommission ist, dem weitere Schritte folgen
müssen. Denn die Marktmacht Googles über Daten und damit über das Öl
der Neuzeit ist schon viel zu groß.

Die EU-Kommission hat vor gut einer Woche dem US-Konzern Google im
Wettbewerbsverfahren eine Milliardenstrafe angedroht. Glauben Sie an
eine Einigung oder an eine Eskalation des Verfahrens?

Torsten Fricke: Es geht bei diesem Streit hauptsächlich um Google
Shopping. Das ist aber nur ein Bruchteil des ganzen Google-Problems.
Ich gehe davon aus, das Google Angebote machen wird, um andere
Vergleichsportale aufzuwerten oder gleich zu behandeln. Das würde
aber das Problem der Marktmacht Googles in keiner Weise lösen.

Es geht aber auch um das Handy-Betriebssystem Android.

Fricke: Ja, und es ist richtig und wichtig, dass die EU-Kommission
auch dagegen vorgeht. Aber das sind einzelne Bausteine. Aber es gibt
noch viele andere Bereiche, in denen Google einen Marktanteil von
weit über 90 Prozent hat, also der absolute Monopolist ist – und
unfair am Markt auftritt.

Also erste Schritte, denen weitere folgen müssen?

Fricke: Ja, unbedingt.

Die dänische Zeitung „Politiken“ schrieb in einem Kommentar von
einem der wichtigsten Kulturkämpfe. Ist das über- oder untertrieben?
Fricke: Es ist ein sehr wichtiger Kulturkampf, in dem es eher fünf
nach als fünf vor zwölf ist. Es ist ein Kampf, der geführt werden
muss. Um ein Bild aus dem Mittelalter zu benutzen: Google besitzt die
einzige Brücke über den großen Fluss, die alle benutzen müssen. Und
Google bestimmt, wer wann drüber darf und was er zu bezahlen hat. Das
geht in unserer heutigen Welt nicht, das können wir nicht
akzeptieren. Wir brauchen mehr Brücken.

Google ist derzeit – bezogen auf den Börsenwert – das
zweitteuerste Unternehmen weltweit und hat eine extrem hohe Rendite.
Wie konnte Google denn so schnell so groß werden?

Fricke: Google hat die Suchmaschine nicht erfunden. Aber der
Konzern hat ein hervorragendes Produkt auf den Markt gebracht. Erst
nachdem er im Search-Bereich einen gigantischen Marktanteil von mehr
als 90 Prozent und damit ein Quasi-Monopol hatte, nutzte der Konzern
seine Marktmacht, um andere Produkte zu pushen. Die User sind
natürlich nicht gezwungen, Google zu nutzen, wohl aber die
Wirtschaft, wenn sie ihre Produkte an den Mann bringen will. An
Google kommt man nicht mehr vorbei, das macht Google so gefährlich.
Und genau deshalb steht Google zu Recht in der Kritik. Der alte
Konzern-Slogan „Don–t be evil“ trifft heute in keiner Weise mehr zu.

Daten gelten schon als das Öl der Neuzeit oder als neuer
Goldstandard. Wird sich diese Entwicklung noch beschleunigen?

Fricke: Davon gehe ich aus. Wer die Daten hat, sitzt am Hebel.
Natürlich hinterlässt man, wenn man im Internet surft, eine Unmenge
von Daten. Aber man sollte diese Daten auf möglichst viele Betreiber
verteilen und nicht bei einem, in diesem Fall Google, bündeln. Denn
sonst ist der Konzern in der Lage, daraus detaillierte Profile zu
erstellen und ein umfassendes Persönlichkeitsbild zu erhalten.

Es ist also so, wie der Internet-Experte Jeron Lanier sagt: Man
ist nicht nur der Kunde, sondern das Produkt.

Fricke: Richtig, man ist das Produkt. Man setzt sich an den
Computer, geht ins Internet und freut sich über den tollen,
kostenlosen Service. Ein Trugschluss, denn wir zahlen immer mit einer
Ware: unseren Daten. Allein anhand von eigentlich anonymen
Suchverläufen kann man heute sehr schnell herausfinden, wer im
Internet unterwegs ist – und zwar mit Vor- und Nachnamen. Ich würde
das Internet nicht verteufeln, aber wir müssen damit leben, dass wir
immer öffentlicher werden. Und sollten uns daher Strategien einfallen
lassen, um diese Entwicklung einigermaßen im Zaum zu halten.

Welche Strategien könnten das denn sein?

Fricke: Eine wichtige Strategie ist, möglichst wenig Daten
abzugeben und zu verteilen. Also nicht bei einem Konzern abladen und
etwa bei Google suchen, Gmail und gleichzeitig ein Android-Handy
nutzen. Denn sonst wird die irrste Geschichte bei immer mehr Menschen
Realität: Google wäre gerne in der Lage, dass ein Nutzer Google
fragt, was er heute tun soll. Diese Vorstellung finde ich einfach
pervers. Ich habe großen Respekt vor den Google-Machern. Aber es sind
extreme Nerds und extrem intelligente Informatiker. Aber das Leben
besteht nicht nur aus Zahlen, sondern auch aus Buchstaben, hinter
denen Emotionen und Gefühle stehen. Doch genau das wird bei Google zu
oft ignoriert. Ein Beispiel dafür ist Googles Autocompletefunktion.
Ein bekannter Fall ist Bettina Wulff. Wer das bei Google eingab,
erhielt gleich den Hinweis auf angebliche Rotlichtgerüchte im
Suchfenster. Frau Wulff ist dagegen völlig zu Recht juristisch
vorgegangen. Google hat dann in einem Vergleich zugesichert, diese
Hinweise zu löschen – dieses Versprechen aber nicht eingehalten. Wer
heute Frau Wulffs Mädchennamen Körner eingibt, stößt immer noch auf
die Gerüchte. Ein Skandal. Ein anderes Beispiel: Wenn Sie heute ein
Reisebüro aufmachen, und bei der Internet-Suche taucht hinter Ihrem
Namen gleichzeitig der Begriff Insolvenz oder etwa Scientology auf,
können Sie den Laden gleich wieder dichtmachen. Wenn es solche
Gerüchte gibt, darf man es als Konzern nicht einfach in den
Suchalgorithmus integrieren. Google versucht sich damit
herauszureden, dass man nur wiedergeben würde, was die User ohnehin
eingeben. Aber dieses Argument kann ich einfach nicht akzeptieren.
Google ist schließlich ein Medienkonzern. Und hat als solcher eine
große Verantwortung, wird dieser aber oft nicht gerecht.

Wen oder was wird Google denn als nächstes angreifen?

Fricke: Google ist wie ein schwarzes Loch und wird natürlich durch
seine Größe immer stärker. Google versucht, in alle Bereiche unseres
Lebens vorzudringen. Kürzlich hat der Konzern eine Firma für
Rauchmelder aufgekauft, damit er in der Lage ist, noch mehr Daten zu
generieren und zum Beispiel zu erkennen, ob man sich gerade zu Hause
aufhält. Google hat aber noch Probleme im mobilen Bereich und wird
versuchen, hier nachzulegen. Android wird sicherlich noch
perfektioniert, um Menschen, die irgendwo in der Stadt unterwegs
sind, gezielter zu Tochter- oder Partnerfirmen zu lotsen, um
Geschäfte zu machen. Immer mehr Apps sind ein Weg dahin. Google ist,
wie Sie schon erwähnt haben, derzeit das zweitwertvollste Unternehmen
der Welt. Aber ich würde wetten, dass Google schon sehr bald die
Nummer 1 sein wird und so die Welt quasi beherrscht.

Ist die Freiheit der Information im Internet nur noch eine
Illusion?

Fricke: Ja, weil die Suche im Internet entscheidend ist. Natürlich
kann ich jede Meinung im Internet veröffentlichen. Aber wenn sie
nicht gefunden wird, ist sie quasi wertlos. Google verstärkt den
Algorithmus und so Mehrheitsmeinungen. Minderheitsmeinungen spielen
keine Rolle mehr. Auch in der Wissenschaft. Anders ausgedrückt:
Suchmaschinen sorgen dafür, dass sich alles nur noch im gleichen Brei
dreht, die Welt also immer dümmer wird. Das hat auch Auswirkungen auf
die Politik, wie Studien wie zum Beispiel von Epstein anhand der
Wahlen in Indien bereits belegt haben. Fest steht, dass die Betreiber
von Suchmaschinen Parameter festlegen können. Und so Wahlen
beeinflussen.

Hat Europa die Entwicklung komplett verschlafen?

Fricke: Wir sind sicherlich zehn Jahre zu spät, aber man darf sich
nicht zurücklehnen und sagen, wir haben die Entwicklung sowieso schon
verschlafen. Google wird immer mächtiger. Und hat wirtschaftlich
einen großen Einfluss. Wenn es die Google-Chefs für eine gute
Nachricht halten, wenn neun von zehn Jobs bald überflüssig sein
werden, müssen alle Alarmglocken schrillen. Hinzu kommt: Google ist
das größte Medienunternehmen in Deutschland, hat aber nur 750
Mitarbeiter. Und zahlt – nicht nur hier – über diverse Auslandmodelle
sehr wenig Steuern.

Hat sich durch die Recherchen für Ihr Buch Ihr Verhalten im
Internet geändert?

Fricke: Ich nutze zwar auch Google, starte in der Regel aber keine
Suche mehr mit Google. Denn es gibt gute Alternativen. Und ich gebe
ab und an – wenn es keine rechtlichen Probleme gibt – falsche Daten
wie Geburtstag oder Namen ein, damit es kein einheitliches Bild im
Netz gibt. Denn irgendwann können Daten kritisch werden. Wenn es
falsche Schlussfolgerungen gibt oder die Daten in falsche Hände
kommen. Ein Beispiel: Man will ein Buch zum Thema Gesundheit
schreiben und informiert sich dazu im Internet über alle möglichen
Krankheiten. Wenn dieser Suchverlauf in die Hände von Krankenkassen
kommt, hat der Autor möglicherweise ein Problem, weil die Kasse
denkt, er sei sterbenskrank. Google hat zudem einen merkwürdigen
Service: Bei Gmail werden alle Nachrichten gescannt und mitgelesen.
Wer will, kann sich zum Beispiel bei Mails mit Rechnungen an
Zahlungsfristen erinnern lassen. Wenn diese Daten meine Bank oder die
Schufa bekommt, könnte daraus der Schluss gezogen werden, dass ich
meine Rechnungen nie pünktlich zahle und meine Kreditwürdigkeit in
Frage gestellt werden. Viele Bürger sagen, sie hätten nichts zu
verbergen, sie seien keine Verbrecher und es sei doch wurscht, ob
Google ihre Daten hat. Die wichtige Frage ist aber, ob Google das
richtige über mich weiß und ob ich am Ende des Tages einen Preis für
meine Sorglosigkeit bezahlen muss. Anders ausgedrückt: Der Kampf
gegen die Marktmacht Googles ist überfällig und muss geführt werden.

Das Interview führte Werner Kolbe

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Werner Kolbe
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