Anschläge wie der in Paris würden die Thesen der
Pegida-Bewegung bestätigen, meint deren Frontmann Alexander Gauland.
Zumindest wird die Angst vor Islamismus von den Organisatoren der
Demonstrationen in Dresden und anderen Städten genutzt, um ihrer
Bewegung Zulauf zu verschaffen. Die Reaktionen auf Pegida schwanken
zwischen Kritik und Verständnis. Der Dresdner Ex-DDR-Bürgerrechtler
Frank Richter warnt vor vorschnellen Kategorisierungen: „Wichtiger
ist es mit den Pegida-Vertretern, die gesprächsbereit sind, in den
Dialog zu gehen. Denn politische Problemlagen bleiben nicht auf der
Straße.“
Sie haben schon umgesetzt, was manche Politiker noch fordern: Mit
der Pegida reden statt nur über sie. Wer begegnete Ihnen: Gottlose
Rassisten oder besorgte Bürger?
Frank Richter: Bisher ist das Gesprächsangebot, das ich im Namen
der Landeszentrale für politische Bildung direkt an das
Pegida-Organisationsteam gerichtet habe, unbeantwortet geblieben.
Gleichwohl haben sich viele Pegida-Sympathisanten schriftlich oder
mündlich an mich gewandt, um mir ihre Beweggründe für den Protest
mitzuteilen. Da zeigte sich ein Kaleidoskop verschiedenster
Unmutsäußerungen, Frustrationen und Sorgen. Am 6. Januar haben wir
die erste Gesprächsveranstaltung mit ca. 130 Teilnehmern
durchgeführt. Diese verlief sehr konstruktiv.
Ist die Angst vor dem Islam echt oder nur die verbindende Klammer
für das Sammelsurium, für ein diffuses Unbehagen angesichts aktueller
Veränderungen?
Richter: Es zeigt sich ein großes Unbehagen angesichts der
Zuwanderungspolitik der Bundesregierung. Viele befürchten ein
unkontrolliertes, unstrukturiertes Zuwandern. Es kommt dazu, dass man
in Sachsen wenig Erfahrung mit Menschen anderer Kultur und Religion
hat. Darüber hinaus äußert sich ein ganz grundsätzlicher Unmut über
das politische System. Viele sind Wahlverweigerer, die den Eindruck
haben, ohnehin nicht mitbestimmen zu können. Die Wirtschaft würde
regieren und nicht die Politik. Man weist darauf hin, dass der
ländliche Raum abgehängt werde, während Metropolen florieren. Man
will nicht akzeptieren, dass Asylbewerberheime ohne oder nur mit
alibi-artiger Beteiligung der ortsansässigen Bevölkerung eingerichtet
werden. Dieser vielgestaltige Unmut hat in Pegida einen Protestkanal
gefunden.
Bekommen wir derzeit auf den Straßen die Quittung, dass sich der
Staat nicht genügend um die Wende- und Globalisierungsverlierer
kümmert?
Richter: Die Leute stellen eine Quittung dafür aus, dass sie sich
von der Politik nicht mehr verstanden fühlen. Sie haben den Eindruck,
dass die Politik an ihnen vorbeigeht. Manche Äußerungen belegen, dass
die Prinzipien der repräsentativen Demokratie nicht verstanden oder
nicht akzeptiert werden. Es hilft nicht sonderlich weiter, dies alles
zu kategorisieren oder zu etikettieren. Nötig ist, das Gespräch zu
suchen, so schwierig dies auch scheint.
Welche Rolle spielt für den Mobilisierungserfolg der Bewegung die
Selbststilisierung als Streiter gegen ein vermeintliches
Meinungsdiktat der Eliten?
Richter: Zu den bemerkenswertesten Elementen dieser Bürgerbewegung
gehört die Ablehnung der Medien. Ich habe erlebt, dass der Ruf
„Lügenpresse!“ besonders laut skandiert wurde. Viele fühlen sich
durch die Berichterstattung diffamiert. Sie möchten nicht in eine
rechtsextreme Ecke gestellt werden allein wegen ihrer Skepsis der
Asylpolitik gegenüber.
Verleugnet Deutschland seine christliche Leitkultur, wie
Pegida-Anhänger meinen?
Richter: Es ist nicht sonderlich wichtig, ob das meiner Meinung
nach stimmt oder nicht. Zu denken gibt, dass viele Menschen genau
diesen Eindruck haben. Die Rolle der Landeszentrale für politische
Bildung ist nicht, politische Positionen zu formulieren, sondern den
politischen Diskurs zu unterstützen. Die Debatte muss versachlicht
werden. Wenn wir differenzieren wollen, muss sie von der Straße weg
und in die Säle hinein.
Für eine Debatte muss aber die Begrifflichkeit geklärt werden. Die
vermeintlichen Islam-Gegner lehnen auch Roma aus Serbien ab, die oft
Katholiken sind, oder syrische Christen, die gerade vor Islamisten
geflohen sind. Wird die Angst vor islamistischem Terror nur
instrumentalisiert, um Fremdenfeindlichkeit zu ummänteln?
Richter: Es ist erkennbar, dass bei Pegida viele mitlaufen, die
rechtsextremistische Positionen vertreten. Klar ist, dass immer dann
widersprochen werden muss, wenn Grundrechte in Frage gestellt werden
und gehetzt wird. Die wichtige Frage aber ist, warum sich so viele
Menschen Pegida anschließen, von denen ich nicht glaube, dass sie die
freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen. Dass
politische Positionen instrumentalisiert werden können, ist nicht
neu.
Was antworten Sie Pegida-Anhängern, die sagen, wir hätten keinen
Platz mehr für Menschen in Not, für christliche Nächstenliebe?
Richter: Kommunikation kann schiefgehen, Nicht-Kommunikation wird
schiefgehen. Wir müssen uns der Mühe unterziehen, Verständnis
entgegenzubringen und andere Verständnishorizonte entgegenzusetzen.
Wenn uns der Einstieg in diesen Diskurs gelingt, können wir von den
Emotionen zu den Fakten gelangen. Und dann wird klar, dass
Deutschland mit 200 000 Flüchtlingen nicht überfordert ist. Ich
hoffe auch, dass die vielen Menschen, die bisher Nothilfe organisiert
haben, in der öffentlichen Diskussion aber erstaunlich still
geblieben sind, stärker zu Wort kommen. Zudem werden wir zu der Frage
kommen, wie viel Einwanderung Deutschland aus eigenem Interesse
braucht.
Sie haben festgestellt, dass rund 70 Prozent der
Pegida-Demonstranten junge Männer sind. Mangelt es da an einem
Identifikationsangebot?
Richter: Das sagt mir mein Gefühl. Es mangelt gerade jungen
Männern an guten Vorbildern. Manche Rollenmuster, in die Männer
früher selbstverständlich hineinwuchsen, sind weggefallen. Junge
Frauen sind in vieler Hinsicht fitter und mobiler als ihre männlichen
Altersgenossen.
DDR-Bürgerrechtler haben die Pegida als „Schande“ bezeichnet, weil
sie den Slogan „Wir sind das Volk“ pervertiere. Sehen Sie das als
ehemaliger Bürgerrechtler auch so?
Richter: Ich möchte dazu nichts sagen. Es gibt wichtigere Dinge
als meine persönliche Sichtweise. Ich verstehe mich nicht als
Gralshüter. Wichtig ist, herauszufinden, was die Menschen umtreibt,
die auf die Straße gehen.
Bedeutet Pegida eine Normalisierung im europäischen Maßstab, weil
in allen Nachbarländern starke rechtspopulistische Bewegungen aktiv
sind?
Richter: Das kann man in der Tat so sehen. Starke nationale bis
nationalistische Gruppierungen gehören zur politischen Landschaft in
vielen europäischen Ländern.
Machen arrivierte Parteien die Hetzer innerhalb der
Pegida-Bewegung hoffähig, indem sie deren Parolen übernehmen?
Richter: Es ist gut, dass auch die etablierten Parteien über die
Themen diskutieren, die bei den Pegida-Anhängern en vogue sind.
Politische Problemlagen bleiben nicht auf der Straße liegen. Wenn die
etablierten Parteien die Fragestellungen der Menschen nicht
aufgreifen, werden sie von anderen aufgegriffen. Die Demokratie lebt
von solchen Herausforderungen.
Müssen wir diese Bewegung ernster nehmen, weil sie nicht vom Rand
der Gesellschaft kommt, sondern aus ihrer Mitte?
Richter: Mit dem Begriff „Mitte der Gesellschaft“ kann ich nicht
viel anfangen. Ich kann sehr viel damit anfangen, wenn sich Menschen
öffentlich positionieren und demonstrieren. Ich kann viel damit
anfangen, wenn sich politische Meinungsäußerung strukturiert und
qualifiziert.
Macht es keinen Unterschied, ob dort ausschließlich Verlierer des
gesellschaftlichen Wandels Frust ablassen oder der Mittelständler
seine Ängste formuliert?
Richter: Wenn dort nur Menschen unterwegs wären, die sich bereits
als Verlierer sehen, wäre deren Meinung deshalb doch nicht weniger
wichtig. Wir sollten die Spreizung unserer Gesellschaft im
politischen Diskurs nicht noch verstärken. Es ist angebracht, wenn
wir dieses Phänomen nicht parteipolitisch beleuchten, sondern
gesellschaftspolitisch. Die Beschäftigung mit der Auseinandersetzung
in der Gesellschaft muss ergänzt werden durch die Debatte über ihren
Zusammenhalt. Wenn sich große Teile der Bevölkerung abgekoppelt
wähnen oder das Gefühl haben, sie hätten mit den Entscheidungseliten
nichts mehr zu tun, ist das ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Das Interview führte
Joachim Zießler
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de