Ein Gespenst geht um in Europa — und diesmal ist
es nicht der Marxismus, sondern der Rechtspopulismus. Islamfeindle
steigen in den Niederlanden zur stärksten Partei auf.
Rechtsaußenparteien haben direkten Einfluss auf Regierungen in
Ungarn, der Slowakei, Italien und Dänemark. Was sind die Ursachen
dieser Entwicklung? Unsere Zeitung befragte den
Rechtsextremismusforscher Alexander Häusler.
Führer-Bewegungen und Stammtischparteien gewinnen in ganz Europa
an Einfluss. Ist die Wirtschaftskrise die Stunde der Rattenfänger?
Alexander Häusler: Das wäre allzu verkürzt gesagt. Die Wahlerfolge
von rechtsaußen haben in den verschieden Ländern ganz
unterschiedliche Voraussetzungen. Man kann nicht alle Entwicklungen
in Europa über einen Kamm scheren. Allerdings lässt sich festhalten,
dass sich der Trend der letzten Europawahl, nämlich der Aufstieg
einer rechtspopulistischen Achse in Europa, auch bei den jüngsten
Wahlen fortgesetzt hat.
Abgehängte Unterschichten, verängstigte Mittelschichten und
orientierungslose Eliten gibt es in ganz Europa — kennzeichneten
auch die 30-er Jahre. Wie konnte die Demokratie nach ihrem
vermeintlichen Triumph 1989 so in die Defensive geraten?
Häusler: Weil zwei Grundvoraussetzungen für den Aufstieg
rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien gegeben sind: Zum
einen eine ökonomische Krise. Wir erleben, wie der Kapitalismus in
seinen Grundfesten erschüttert wird. Die Antworten darauf sind
allerdings nicht immer emanzipativen Charakters, sondern eher
nationalistisch gefärbt, geprägt von einer neuen Identitätspolitik.
Das ist der zweite Punkt: Europa erlebt derzeit eine Art
kulturalisierten Rassismus, weil überall eine Identitätsdebatte auf
der kulturell-religiösen Ebene geführt wird. Dabei wird die
sogenannte „Ausländer-Frage“ zu einer „Kultur- und Religionsfrage“
umformuliert. Und dies ist Basis des Aufstiegs vieler
Rechtspopulisten, die Gegensätze und Spannungen innerhalb von
Gesellschaften auf einen Kulturkampf zwischen Christentum und Islam
reduzieren.
Wird Islamfeindschaft das Banner, unter dem rechtsextreme
Bewegungen Rassismus salonfähig machen?
Häusler: Das ist europaweit gesehen nicht bei allen
Rechtsaußenparteien der Fall. Die Trennlinie verläuft zwischen der
modernisierten extremen Rechten Westeuropa und der extremen Rechten
im Osten. Im Westen durchlief die extreme Rechte einen
Modernisierungsschub, der zu einem Wandel der Feindbilder führte. Man
nahm Abstand von allzu offenem Antisemitismus und verlegte sich auf
islamfeindliche Parolen: ,,Wir im christlichen Europa gegen die
muslimischen Zuwanderer.“ „Wir gegen Überfremdung.“ In Osteuropa ist
dies anders. Der Wahlerfolg der rechtsextremen Jobbik-Partei in
Ungarn etwa basiert auch auf dem Ansprechen des verwurzelten
Antisemitismus.
Besteht die Gefahr einer Achse der westeuropäischen Islamfeinde?
So wie in der Schweiz wird auch in Köln gegen Minarette gehetzt.
Häusler: Es gibt bereits jetzt eine rechtspopulistische Achse in
Europa, die unter dem Banner der Islamfeindlichkeit antritt.
Wahlerfolge beruhten darauf. Was die Schweizerische Volkspartei mit
der Kampagne gegen Minarette vorgemacht hat, haben andere Bewegungen
kopiert — Vlaams Belang, die Lega Nord, auch die deutsche Rechte.
Sie hoffen, nach erfolgter Abnabelung von bloßer NS-Nostalgie auf der
antiislamistischen Erfolgswelle mitschwimmen zu können. Die militante
Neonazi-Szene in Deutschland nimmt sich dagegen eher die offen
antisemitisch auftretenden Parteien in Ungarn und der Slowakei zum
Vorbild.
Zur Identitätsfindung dient oft auch noch althergebrachter
Nationalismus. Während etwa in Brüssel um die Einigung Europas
gerungen wird, bröckelt der belgische Staat weg. Erlebt die
Kleinstaaterei ein Comeback?
Häusler: Es ist ein Ergebnis des europäischen Einigungsprozesses
und des Zerfalls des Ostblocks, dass Identitätsstiftung weniger über
die soziale Schiene läuft, sondern über Abgrenzung. Diese stärkt
nationalistische, separatistische Parteien. Das ist nicht nur in
Belgien der Fall, sondern auch in Italien. Das dabei beschworene
Wir-Gefühl ist eine reaktionäre Antwort auf Europas Krise insgesamt.
Das Gefühl der Gemeinsamkeit wird wiederhergestellt über kleinere
Einheiten, die sich anti-europäisch formieren.
Die EU wird von der Mehrheit der Bürger als zu abstrakt und zu
bürgerfern empfunden, weshalb Rechtspopulisten auch auf dem
anti-europäischen Ticket Erfolge einheimsen können.
Welche Rolle spielt bei den Erfolgen der Populisten die
Selbststilisierung als Streiter gegen eine vermeintliche
Meinungsdiktatur?
Häusler: Die Inszenierung eines Freund-Feind-Dualismus ist ein
Merkmal jeglichen Rechtspopulismus: „Wir als Anwalt der Schwächeren
gegen die vermeintlichen Eliten“. Das Propagandabild des „Anwaltes
des Volkes“ wird in Stellung gebracht gegen die „Eliten in der EU“.
Bieten die operettenartig inszenierte französische Präsidentschaft
oder gar die ausgehöhlte Unterhaltungs-Demokratie des Berlusconismus
einen Ausblick auf die künftige politische Kultur Europas?
Häusler: Zumindest deutet sich die bedrohliche Möglichkeit der
Verwirklichung dessen an, was der britische Politikwissenschaftler
Colin Crouch einmal „Post-Demokratie“ genannt hat — in der die
demokratische Struktur lediglich als Hülle erhalten bleibt, aber mit
Inhalten gefüllt ist, die mit der ursprünglichen Idee der
Volksherrschaft nichts mehr zu tun haben. Die Politik Berlusconis ist
ein Vorreiter-Beispiel, was in der Post-Demokratie passieren kann.
In Italien sind die passiven Frustrierten einer faktischen
Gehirnwäsche durch ein Quasi-Meinungsmonopol ausgesetzt. Was, wenn
Medienmogule sogar die Parolen eines Geert Wilders verbreiten?
Häusler: Italien hat eine Vorreiterrolle eingenommen. Dort regiert
eine neuformierte Partei, die sich aus einer ehemals faschistischen
Partei und der eines Unternehmers zusammensetzt. Das ist eine
Regierungspartei unter postdemokratischen Verhältnissen, die auch
unter anderen Vorzeichen — etwa der starken Islamfeindseligkeit im
ehemaligen Vorzeige-Multi-Kulti-Land Niederlande — Schule machen
kann.
Trends in Richtung Postdemokratie gibt es auch Deutschland:
Personenkult statt Programmdebatte, Marketing statt Politik. Schützt
noch die NS-Vergangenheitsbewältigung vor Führern wie Haider und Le
Pen?
Häusler: Einerseits mündete die Aufarbeitung des
Nationalsozialismus tatsächlich in einer besonderen Wachsamkeit. Zum
anderen haben wir bisher auch deshalb keine Transformation in
Richtung rechtsaußen, weil wir trotz der Krise keine instabilen
politischen Verhältnisse im Machtzentrum haben, wie das in anderen
europäischen Ländern der Fall ist. Außerdem hat es hier — anders als
etwa in den Niederlanden, der Schweiz oder Österreich — keinen
erfolgreichen Modernisierungsprozess von rechtsaußen gegeben — nicht
zuletzt, weil der extremen Rechten in Deutschland charismatische
Führungspersönlichkeiten fehlen.
Wie ließe sich die Demokratie revitalisieren, damit diese auch
gegenüber einer modernisierten extremen Rechte resistent bliebe?
Häusler: Zunächst mal müssen wir aus den Erfahrungen der anderen
Länder lernen. Populistische Anrufungen an das Volk sind immer
Warnsignale, die nicht überhört werden dürfen. Wenn hierzulande
Kampagnen laufen gegen den Bau von Moscheen, den Islam generell oder
die vermeintlich korrupten politischen Eliten, muss politischer
Gegendruck aufgebaut werden. Dies möglichst vor Ort, in den
betroffenen Kommunen, als Teil eines demokratischen
Willensbildungsprozesses, in dem Mitbestimmungsrechte erfolgreich
wahrgenommen werden. Hier kann Demokratielebendigkeit vorgelebt
werden, um nicht den politischen Fängern von Rechtsaußen das Feld zu
überlassen.
Würden mehr Mitbestimmungsrechte, mehr plebiszitäre Elemente den
Fängern das Wasser abgraben oder sie sogar eher nach oben tragen?
Häusler: In der Tat wären mehr plebiszitäre Elemente in der
Verfassung ein zweischneidiges Schwert. Denn die populistische,
modernisierte Rechte reitet gerade auf dem Ticket der Bürgernähe und
des Volksentscheides. Es war die Schweizer Volkspartei, die ihre
rassistische Kampagne gegen Minarettbau erfolgreich durchsetzen
konnte, weil sie den Rassismus in ein Bürgerbegehren verpackte.
Alleine mit der Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung ist es also
nicht getan. Es geht vielmehr darum, die demokratischen Werte der
Gleichberechtigung und der Anerkennung fassbarer, lebendiger und
wahrnehmbarer zu machen. Nicht nur die Form der Demokratie muss
gestärkt werden, sondern auch deren Inhalte. Das Interview führte
Joachim Zießler
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