Die Krise in der Ukraine führte dem Westen vor
Augen, wie wenig Einfluss die USA und die EU auf Russland haben.
Kremlchef Wladimir Putin weiß, dass sich die von Gas- und Ölimporten
abhängige EU kaum zu noch schärferen Sanktionen durchringen wird.
„Machiavellistisch betrachtet spielen wir für Putin die nützlichen
Idioten“, sagt der USA-Experte Dr. Josef Braml im Gespräch mit
unserer Zeitung. Er glaubt auch nicht, dass die USA ihre
wirtschaftliche Krise schon überwunden haben.
Herr Dr. Braml, die Konjunktur in den USA zieht an, die
Arbeitslosenquote ist auf den niedrigsten Stand seit April 2008
gesunken, die Schuldenobergrenze bis Februar 2015 gebilligt – sind
die USA auf dem Weg zurück zu alter Stärke?
Dr. Josef Braml: Nein, die US-Wirtschaft hängt nach wie vor am
Staatstropf. Ein Beispiel: Auf dem Immobiliensektor greifen die
beiden großen Verwalter des amerikanischen Traums, Fannie Mae und
Fannie Mac, wieder stärker ein. Beide Banken sind in der Krise
verstaatlicht worden.
Aber beide werfen wieder Gewinne ab und zahlen an den Staat
zurück.
Braml: Ja, aber nur, weil die US-Notenbank nach wie vor in großem
Ausmaß Banken schlechte Papiere aus den Bilanzen abkauft und
Staatsanleihen bedient, die vom Ausland nicht mehr finanziert
werden. Sie greift massiv ein und druckt Geld. Ohne Hilfe der Fed
würden die Zinsen anziehen, was einen neuen Kollaps hervorrufen
würde. Die US-Konjunktur wird also durch billiges Geld befeuert –
was aus meiner Sicht nur ein Strohfeuer sein kann. Und die Lage auf
dem Arbeitsmarkt ist nur scheinbar entspannter. Immer mehr
Langzeitarbeitslose können keine Unterstützung mehr beziehen und
haben keinen Anreiz mehr, sich als arbeitslos registrieren zu lassen.
Anders ausgedrückt: Je schlimmer das Problem ist, desto besser sind
die Arbeitsmarktzahlen. Hinzu kommt aber noch ein gravierendes
Bildungsproblem: Viele Unternehmen suchen zwar qualifizierte
Arbeitskräfte, werden aber nicht fündig.
Kann der Kurs der expansiven Geldpolitik auf Dauer gut gehen?
Braml: Nein, deshalb tritt man jetzt auch etwas auf die Bremse und
pumpt Schritt für Schritt weniger Geld hinein. Unterm Strich müssen
wir uns darauf einstellen, dass die USA weiterhin ein zu niedriges
Wachstum hat, um diese Volkswirtschaft am Laufen zu halten. Die USA
brauchen aber mangels automatischer Stabilisatoren und mangels eines
sozialen Netzwerkes eine hochtourig laufende Wirtschaft. Erschwerend
kommt das gigantische Schuldenproblem hinzu.
Derzeit sind es rund 18 Billionen Dollar.
Braml: Das Ausland ist immer weniger bereit, diese Schulden zu
finanzieren und US-Staatsanleihen zu den derzeitigen Konditionen zu
kaufen. Das heißt, die USA werden höhere Zinsen für frisches Geld
zahlen müssen. Vielleicht erleben wir ja noch Zeiten, in denen die
USA höhere Renditen bieten müssen als Griechenland. Das wäre eine
Ironie der Geschichte.
China zieht sich bereits aus dem US-Anleihekauf zurück.
Braml: Richtig, aber auch die Japaner tun dies. Obwohl beide
Staaten große Probleme miteinander haben, gelingt in diesem Bereich
eine Verständigung. Beide Länder agieren gemeinsam, um ihre
Währungsreserven schrittweise aus der Dollarfalle, wie sie das
nennen, herauszubekommen. Chinesen und Japaner wollen eine dritte
Währung stark machen, den Renmimbi. Wir haben dann nicht mehr diese
Dollar-Dominanz, dieses exorbitante Privileg, wie es Valerie Giscard
d– Estaing einst nannte, sondern ein multipolares Währungssystem. Die
Amerikaner können dann nicht mehr alle Währungsreserven zum Nulltarif
beziehen, nicht mehr wie bisher über ihre Verhältnisse leben und auf
Pump konsumieren. Damit ist dieses amerikanische Wirtschaftsmodell
weiterhin in Gefahr. Ich sehe derzeit keine Alternative, die
angesteuert wird.
Was wäre denn eine Alternative, die angesteuert werden müsste.
Braml: Man müsste umfassend in Bildung investieren. Und man müsste
sehr viel Geld in die Hand nehmen, um die in weiten Teilen der USA
marode Infrastruktur zu modernisieren. Denn beide Probleme lähmen die
US-Wirtschaft. Auch mit dem „Fracking-Wunder“ lassen sich bei
nüchterner Betrachtung die Probleme nicht dauerhaft lösen, sondern
nur ein vorübergehender Preisvorteil erzielen. Langfristig bleiben
die USA auf teure Ölimporte angewiesen. Auch die Gaspreise in den USA
werden bald wieder steigen, denn im Frackingbereich steht eine
Konsolidierung an, einige Unternehmen verkaufen bereits unter den
Produktionskosten. Die Förderung von Öl wird immer eine Frage des
Preises sein. Weder die Amerikaner noch die Kanadier mit ihren großen
Ölsand-Vorkommen können die Preise merklich beeinflussen. Bis auf
weiteres ist nur Saudi-Arabien in der Lage, so viel Öl auf einmal zu
so günstigen Konditionen zu fördern, dass es Preisveränderungen gibt.
Die Saudis agieren seit geraumer Zeit so und helfen nicht nur den
USA, sondern auch Europa dabei, dass die Ölpreise einigermaßen
moderat bleiben und unsere Wirtschaft nicht kaputtmachen. Wir stützen
und sichern dafür dass „demokratische“ Königreich Saudi-Arabien.
Sicherheit für Öl lautet die Devise.
Derzeit verhandeln die USA und die EU über ein
Freihandelsabkommen. Wem würde ein solches Abkommen mehr nützen?
Braml: Aus der Makroebene betrachtet, ist es eine
Win-Win-Situation. Höher aufgelöst dürfte es auf beiden Seiten des
Atlantiks auch Verlierer geben. Einige Branchen – ob im Agrar- oder
selbst im Kulturbereich – müssten zurückstecken. Das bereitet in den
Verhandlungen von europäischer Seite Probleme. Die größten Probleme
im Poker um das Freihandelsabkommen TTIP sehe ich aber auf Seiten der
Amerikaner. Denn Barack Obama wird insbesondere auch von seinen
Parteifreunden blockiert. Er wird vom Kongress nicht die
Handelsautorität bekommen, die er bräuchte. Nur wenn er diese hätte,
könnte er ein fertig ausgehandeltes Paket vorlegen, das nicht mehr
aufgeschnürt werden kann und über das als Ganzes abgestimmt werden
muss. Vielleicht noch entscheidender ist die Tatsache, dass die
Amerikaner weniger an einem Freihandelsabkommen mit Europa als mit
Asien interessiert sind. Die USA wollen möglichst viele pazifische
Staaten gegen China positionieren. Obama hat vom Kongress die
Handelsautorität, die sogenannte „Trade Promotion Authority“,
gefordert, um beide Freihandelsabkommen, das transpazifische und das
transatlantische, aushandeln zu können. Wir könnten also der
Kollateralschaden der eigentlichen Interessen der USA Richtung Asien
sein. Wir Europäer sind in den Augen der Amerikaner nicht so wichtig,
wie wir uns gerne aus europäischer Sicht sehen.
Vielleicht auch nicht in der Ukraine-Krise. Die USA treten als
Hardliner auf. Lassen sich die Europäer auch in Hinblick auf die
NATO-Erweiterung von Washington instrumentalisieren?
Braml: Ich bin mir nicht sicher, ob die USA tatsächlich so „hart“
unterwegs sind. Selbst der in Medien als harter Hund bezeichnete
George W. Bush konnte sich damals nicht gegen Deutschland und
Frankreich durchsetzen, als es um NATO-Osterweiterung um Georgien und
die Ukraine ging. Hardliner sagen heute, genau deshalb gäbe es jetzt
diese Probleme. Die Regierung Obama hat nun klipp und klar gesagt,
dass sie keine militärische Lösung der Ukraine-Krise befürwortet,
sondern auf Sanktionen setzt. Obwohl man sich im Weißen Haus auch
bewusst ist, dass man Wladimir Putin stärkt, wenn er angesichts des
Drucks vom Westen die Unterstützung seiner Landsleute bekommt, die
vorher fehlte, weil er von seiner Regierungsleistung her vieles
schuldig geblieben ist. Machiavellistisch betrachtet spielen wir für
Putin die nützlichen Idioten. Nichtsdestotrotz spricht der Westen
über härtere Sanktionen. Dabei tun sich die Amerikaner leichter mit
Sanktionen, denn Europas Wirtschaft ist viel abhängiger von
Erdgasimporten und dem Exportmarkt Russland. Ich denke, dass dieses
ganze Sanktionsgerede nur davon ablenken soll, dass man keine
richtigen Machtmittel in der Hand hat. Am Ende könnte die Ukraine als
Staat zerfallen.
Das Interview führte Werner Kolbe
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Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
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