Lausitzer Rundschau: Gelebte Normalität Zum Stand der deutschen Einheit

Am nächsten sind sich die Menschen aus den beiden
Teilen Deutschlands wohl zu einem Zeitpunkt gekommen, als an eine
Vereinigung noch niemand zu denken wagte: In den Tagen unmittelbar
nach dem 9.November 1989, bei den Wiedersehensfeiern in den
Orten an der innerdeutschen Grenze, beim gemeinsamen Schleifen der
Berliner Mauer, bei zufälligen Begegnungen auf dem Kurfürstendamm.
Vielleicht sollten wir uns dieser Tage, an denen wir auf
20Jahre deutsche Einheit zurückblicken, mal wieder an jene
Zeit erinnern, in der offensichtlich war, dass zusammengehörte, was
sich in den Armen lag. Heute dagegen wird das Trennende gerne mal
überbetont – sogar von ostdeutschen Ministerpräsidenten, die sich
selbst als Versöhner begreifen. Und Ansatzpunkte gibt es ja durchaus:
Den deutsch-deutschen Flitterwochen mit Hochzeit binnen Jahresfrist
folgte die Ernüchterung der unmittelbaren Nachwendejahre – und die
Erkenntnis, dass auch im vereinten Deutschland längst nicht alles
Gold war, was glänzte. Bis heute wirken die Verletzungen, die
enttäuschten Erwartungen jener Zeit nach und bewirken hierzulande
mitunter eine diffuse Sehnsucht nach einem Staat, dem seine Bürger
bei der ersten Gelegenheit in Scharen davonliefen. Die übergroße
Mehrheit der Menschen in Brandenburg und Sachsen, in Sachsen-Anhalt,
Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen aber ist längst im vereinten
Deutschland angekommen – selbstbewusst und mit Recht stolz auf das,
was in den vergangenen zwei Jahrzehnten trotz aller Probleme wie
Abwanderung oder Arbeitslosigkeit erreicht wurde. Das beinhaltet auch
den selbstverständlichen Anspruch, die eigenen, in DDR-Zeiten
gewonnenen Erfahrungen in die gesamtdeutsche Gesellschaft
einzubringen oder auf Landesebene eigene Wege zu gehen. Die jüngste
Debatte darüber, ob der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des
Grundgesetzes im Jahre 1990 nun als „Anschluss“ zu werten sei oder
nicht, ist vor diesem Hintergrund wenig ertragreich. Als bloßes
Anhängsel an den reichen Westen betrachtet die neuen Länder heute
ohnehin niemand mehr, der einigermaßen ernst zu nehmen wäre. Gerade
jungen Leuten müssen solche rückwärtsgewandten Diskussionen absurd
vorkommen: Die nehmen die Möglichkeiten einer freiheitlichen
Gesellschaft selbstverständlich in Anspruch, wählen ihre Universität
nicht nach historischen Gesichtspunkten, sondern nach den dort
herrschenden Studienbedingungen aus, und ihr Kompass kennt neben Ost
und West auch Nord und Süd. Die deutsche Einheit ist für sie nichts,
worüber man sich ständig groß Gedanken machen müsste. Sie ist gelebte
Normalität.

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