Deutschland schickt sich an, als erste
Industrienation aus der Kernenergie auszusteigen. Dieses Ergebnis ist
ziemlich wahrscheinlich, seit Angela Merkel die neue Leitlinie des
„so schnell wie möglich“ verkündet hat. Wann es so weit ist, ob der
Fahrplan des Ausstiegs rasant oder gemächlich verläuft, steht aber
noch längst nicht fest. In den kommenden Monaten werden
Parteipolitiker, Lobbyisten und Fachleute, darunter die von der
Regierung bestellten Kommissionen zur Ethik und zur
Reaktorsicherheit, eine hitzige Debatte über Vor- und Nachteile im
Hinblick auf Gefahrenschutz, Folgekosten und Umweltauswirkungen bei
der Stilllegung der deutschen Kernindustrie liefern. Manche werden
Hoffnungen wecken, andere werden Ängste schüren. Der entscheidende
Druck zu politischen Lösungen geht dabei vom Meinungsbild und der
kritischen Aufmerksamkeit in der Bevölkerung aus. Die seit der
Katastrophe von Fukushima weit verbreitete Anti-AKW-Stimmung kann
sich noch erheblich verändern, und Merkel spielt mit ihrem
dreimonatigen Moratorium sichtlich auf Zeit. Dass sich nun auf Seiten
der vehementen Atomkraftgegner unter Cottbuser Federführung eine
große Gruppe von Wissenschaftlern in das Gefecht der Argumente
eingeschaltet hat, ist begrüßenswert und auch unbedingt notwendig.
Die Befürchtung der Initiative, dem Volk könnten „schöngerechnete“
Kalkulationen präsentiert werden, ist angesichts der wirtschaftlichen
Profite, die auf dem Spiel stehen, nämlich durchaus begründet. Es
reicht allerdings nicht, wenn diese 1205Wissenschaftler mit
einer Denkschrift weitere für Laien schwer nachprüfbare Behauptungen
in die Debatte werfen. Um sich über die komplexen Probleme und besten
Lösungen zum Ausstiegsszenario und zum künftigen Energiemix eine
Meinung bilden zu können, braucht die Öffentlichkeit
vertrauenswürdige, ehrlich erläuterte Zahlen und Fakten – übrigens
nicht nur über die Risiken der Kernenergie und ihrer Endlagerstätten,
sondern auch über die Gefahren von erneuerbaren Energiequellen,
Kohle- oder Gaskraftwerken. Wenn die Cottbuser Initiative hier,
durchaus in Konkurrenz zu den Kommissionen der Regierung,
verlässliche Studien beitragen würde, wäre das für die Zukunft
unserer Gesellschaft von großem Nutzen. Die Entscheidung, welche
Energiepolitik Deutschland einschlagen soll, gebührt zum Schluss
allerdings nicht der Wissenschaft. Sie fällt auch nicht nur der
Regierung und den Parlamenten zu. Jeder Einzelne sollte sie treffen –
indem er sich informiert, wirtschaftliche, ökologische und moralische
Interessen abwägt und bei Gelegenheiten wie Umfragen, Demonstrationen
oder Wahlen seine Meinung zum Ausdruck bringt.
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