Für die pragmatischen Kräfte bei den Linken dürfte
der gestrige Tag ein doppelter Grund zur Freude gewesen sein: Ihre
Galionsfigur Gregor Gysi bleibt alleiniger Fraktionschef im
Bundestag, und das Bundesverfassungsgericht hat der Überwachung von
Linkspolitikern durch den Verfassungsschutz eine Abfuhr erteilt.
Beide Vorgänge sind ein politisches Signal und bedeutsam für den
weiteren Kurs dieser Partei. Das Wahlergebnis vom 22. September
bringt die Linke in eine komfortable Lage. Dass man einmal
drittstärkste Kraft im Parlament werden würde und damit aller
Voraussicht nach auch die Oppositionsführerschaft übernimmt, hatten
auch die größten Optimisten in der Partei nicht zu träumen gewagt.
Bleibt die Frage, wie sie mit ihrer neuen Rolle umgeht. Eine erste
Antwort gibt das Ergebnis der jüngsten Fraktionswahl. Statt Sahra
Wagenknecht als Co-Chefin ins Rampenlicht zu rücken, wie es die
radikalen Kräfte gern gesehen hätten, bleibt Gysi die Solo-Spitze.
Die Freundin von Oskar Lafontaine hält wenig von einer Annäherung zu
SPD und Grünen, Gysi umso mehr. Seine Linie hat sich uneingeschränkt
durchgesetzt. Nicht, dass die drei Parteien jetzt im Bundestag
gemeinsame Sache machen würden. Aber längerfristig womöglich schon.
In Hessen hat gerade eine rot-rot-grüne Sondierungsrunde über die
Bildung einer künftigen Landesregierung stattgefunden. Und der linke
SPD-Flügel hat bereits mehrfach erklärt, dass das linke Tabu
spätestens 2017 abgeräumt sein müsse. Die Absage an Wagenknecht ist
ein Baustein dafür, das schon erwähnte Verfassungsgerichtsurteil ein
weiterer. Denn ohne die Beobachtungspraxis dürfte auch die
gesellschaftliche Akzeptanz der Linken wachsen. Im Osten sind sie
ohnehin Volkspartei, im Westen könnten sie dauerhaft über fünf
Prozent kommen. Es mutet auch ziemlich lächerlich an, Leute wie Gysi,
Bartsch oder Ramelow in die linksextremistische Ecke zu stellen. Wie
ein Relikt aus dem kalten Krieg. Die Linke gehört politisch unter die
Lupe genommen, aber nicht kriminalisiert. Wahr ist freilich auch,
dass die Partei mit diesem Stigma ganz gut gelebt hat. Warum nach
Konzepten fragen, wenn man den Märtyrer spielen kann? Davon wird sich
die Linke nun verabschieden müssen, wie überhaupt von manch altem
Zopf. Ihre internen Grabenkämpfe sind jedenfalls nicht ausgestanden.
Noch im Vorjahr hatte Gysi den „Hass“ in der eigenen Truppe beklagt.
Gut möglich, dass das ordentliche Abschneiden bei der Wahl
lagerübergreifend für einstweilige Disziplinierung sorgt. Aber der
Frieden bleibt brüchig. Nicht nur die anderen, auch die Linken müssen
sich ändern. Ansonsten kann Gysi das Projekt Regierungsfähigkeit
vergessen.
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