Geht es bei Stuttgart 21 um die Demokratie und
sogar um die Zukunftsfähigkeit des Landes? Stellt der Protest die
Systemfrage? Auf nichts weniger liefen die Argumente hinaus, die
bisher von Union wie FDP zu hören waren. Irgendwann müssen
demokratisch erwirkte Beschlüsse auch durchgesetzt werden, sagt
Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wenn das alles stimmte, müsste man
Stuttgart 21 durchprügeln. Zum Glück kehrt inzwischen etwas Besinnung
ein, selbst bei Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus.
Die Einschaltung eines Vermittlers ist der erste Schritt zur
Deeskalation. Es ist doch nur ein Bahnhof! Die Welt geht nicht unter,
wenn dieser Bau nicht realisiert werden sollte. Die Demokratie hört
mit einer Parlamentsentscheidung nicht auf, sondern geht mit der
Demonstration danach weiter. Bei der Wiederaufbereitungsanlage im
bayerischen Wackersdorf und beim Kernkraftwerk im badischen Wyhl
widersetzten sich die Bauern und die lokale Bevölkerung, ehe die
Berufsdemonstranten kamen. Beide Projekte scheiterten. Waren das
Niederlagen der Demokratie? Nein, es waren Siege der Vernunft. Es
gibt quasi einen Grenznutzen für die Durchsetzung von Großvorhaben.
Entweder der Widerstand erlahmt – dann war er nicht motiviert genug.
Oder der Staat gibt nach. Dann brauchte er das Projekt nicht
wirklich. Oder man findet einen Kompromiss. Dann wird meist der
Größenwahnsinn der Planer auf ein realistisches Maß gestutzt.
Demokratie ist kompliziert. Aber sie bewahrt uns auch vor Fehlern.
CSU-Landesgruppenchef Peter Friedrich fragt ebenso wie Merkel, ob wir
mit der Dynamik von Ländern wie Indien oder China mithalten können,
wenn alles blockiert wird: Bahnhöfe, Endlager, Stromtrassen für grüne
Energien. China ist eine Diktatur, Indien ein Land der Rechtlosen. Da
kann man leicht einen Staudamm bauen, der ganze Regionen zerstört.
Wollen wir so werden? Wir sind ein Land selbstbewusster Bürger.
Deutschland wäre in seinem demokratischen Kern beschädigt, wenn es in
Stuttgart einen Blutsbahnhof bekäme und in Gorleben ein
Brachial-Endlager. Wahr ist freilich, dass der Widerstand immer öfter
aufbrandet. Manchmal ist sein Name Sankt Florian. Manchmal Vernunft.
Manchmal Angst. Egal wie, der demokratische Staat hat damit
umzugehen. Alle vier Jahre wählen – das reicht nicht. Wie also die
Bürger besser beteiligen und mitentscheiden lassen? Das ist die
wirkliche Systemfrage, die die Demonstranten von Stuttgart über den
konkreten Fall hinaus stellen.
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