Die harsche Warnung von Sigmar Gabriel vor der
„größten Volksverdummung in der Geschichte“ ist reines
Europa-Wahlkampfgetöse. Der SPD-Chef will der müden Kampagne und den
noch müderen Umfragewerten seiner Partei in der Schlussphase Leben
durch personelle Polarisierung einhauchen. Sein Martin Schulz gegen
Angela Merkels Jean-Claude Juncker – der Wahlsieger müsse hinterher
zwingend EU-Kommissionspräsident werden. Wenn ein anderer den Job
bekomme, könne man die übernächste Europawahl gleich absagen. Gemach.
Zwar ist richtig, dass diesmal nicht die europäischen Staatschefs den
nächsten EU-Kommissionspräsidenten allein bestimmen; sie sollen
vielmehr „nach Konsultationen“ mit dem Europäischen Parlament einen
Vorschlag unterbreiten. Und zwar unter „Berücksichtigung“ des
Wahlergebnisses. Doch das ist so weich formuliert, dass man daraus
wahrlich keinen Automatismus ableiten kann, wie Gabriel ihn gerne
hätte. Außerdem unterschlägt der Vizekanzler, dass es im
Europaparlament auch noch andere Parteien gibt und jeder Bewerber
dort erst einmal eine Mehrheit finden muss. Das Wichtigste aber: Die
EU ist komplizierter als eine nationale Regierung, die klar vom
Parlament gewählt und kontrolliert wird. Hier gibt es auch noch die
europäischen Staatschefs als das eigentliche Machtzentrum, und die
müssen mit dem am Ende Gewählten zusammenarbeiten wollen und können.
Deshalb haben sie ja auch das Vorschlagsrecht. Wer das ändern will,
muss ihre Macht (und damit die der nationalen Regierungen) drastisch
beschneiden und die des Parlaments entsprechend erweitern. Will
Gabriel das? Als es kürzlich um Ausnahmen für die deutsche Industrie
bei der Ökostromumlage ging, wirkte er nicht so.
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