Die Geschichte dieser Postkarte (Kopie) ist
unglaublich: 1947 aus englischer Kriegsgefangenschaft mit dem Ziel
Sergen (bei Cottbus) abgesandt; jahrzehntelang nicht angekommen; auf
einem Cottbuser Trödelmarkt entdeckt; nach 64Jahren einem der
drei Adressaten übergeben: Herbert Knoblich, Brandenburgs erstem
Landtagspräsidenten. Das berichtet die Lausitzer Rundschau in ihrer
Montagsausgabe.
Cottbus. Wenn Herbert Knoblich die Postkarte von seinem Onkel
Walter in den Händen hält, werden Kindheitserinnerungen wach. An die
Zeit nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im niederschlesischen
Alt-Jauer. Der Bruder seiner Mutter Emma (geb. Steckel) hatte sich
viel um den kleinen Herbert gekümmert. „Er hatte sich Zeit genommen,
mit mir die Uhr zu lernen“, erinnert sich Herbert Knoblich. „Und die
Zahlen von eins bis zehn auf Englisch.“ Über den
Landmaschinenschlosser Walter Steckel erzählte man sich damals, dass
er sich nur unter den kaputten Trecker drunterlegen musste – und
schon sei er wieder flott gewesen. Was die Familie, vor allem
Knoblichs Mutter, nie verstanden hatte – warum er sich nach
Kriegsende nicht gemeldet hatte. Keine Zeile. „Da war immer etwas
zwischen den beiden“, weiß der heute 75-Jährige. Walter war nach der
englischen Kriegsgefangenschaft in Ägypten in den Westen gegangen. Er
habe sich dort verliebt, fand in seinem Beruf Arbeit und wurde
Gewerkschafter. Dass Walter immer wieder beteuerte, aus Ägypten
geschrieben zu haben, wollte seine Schwester Emma nie so richtig
glauben. Und sie hat die Wahrheit auch nicht mehr erfahren. Denn sie
starb, bevor Walter Steckels Postkarte nach 64Jahren noch
einen der Adressaten, Herbert Knoblich, erreichte. „Sergen
No1 bei Kottbus“ – diese Adresse hatte einen Sammler vor gut
dreieinhalb Jahren auf einem Cottbuser Trödelmarkt aufmerksam werden
lassen. Dazu der Ort und das Datum: Ägypten, den 15.6.1947. Für den
Postkarten-Liebhaber war das eine Rarität. Zudem kannte er den
Bürgermeister der Gemeinde Neuhausen, dessen Ortsteil Sergen ist.
Stolz berichtete er Dieter Perko von seiner Entdeckung, woraufhin der
CDU-Politiker den Namen Knoblich las. „Walter Steckel hatte hier an
Emma, Herbert und Gerhard Knoblich geschrieben“, staunte Perko über
den fast unglaublichen Zufall. Natürlich kannte er den ersten
Landtagspräsidenten Brandenburgs nach der politischen Wende, Herbert
Knoblich. Der war in den 1990er-Jahren oft in Sergen, dem Ort seiner
Kindheit. Denn nach der Flucht aus Schlesien am Ende des Krieges
hatte die Familie Knoblich in Sergen ein neues Zuhause gefunden. Um
an die Postkarte zu kommen, musste Dieter Perko mit seinem Bekannten
kaupeln: die Karte aus Ägypten gegen einen Feldpostbrief von Perkos
Opa. „Den habe ich gern hergegeben, um Herbert Knoblich zu
überraschen“, sagt Dieter Perko, der den damaligen SPD-Politiker aus
Potsdam Anfang der 1990er-Jahre kennengelernt hatte. Knoblich habe
sich für die Sanierung der Sergener Dorfkirche engagiert, war
Mitglied im Förderverein „Dorfkapelle Sergen“. Noch heute werde der
Pokal des Landtagspräsidenten im Feuerwehrsport vergeben. An den
Moment als der Bürgermeister die Postkarte aus Ägypten dem Adressaten
Herbert zeigte und schließlich überließ, erinnert er sich wie heute:
„Er war sprachlos, tief bewegt und hat sich genauso gefreut wie ich
selbst.“ Als die RUNDSCHAU bei Herbert Knoblich in Potsdam anruft,
hat er gerade eine halbe Stunde Training auf dem Fahrradergometer
hinter sich. „Das mache ich dreimal in der Woche“, lacht er. Zu der
Postkarte, die ihn nach 64Jahren erreicht hat und die so
viele Episoden seiner Familiengeschichte hat wach werden lassen, sagt
er zum Schluss: „Schade, dass meine Mutter Emma nie mehr von Walters
Karte erfahren hat.“
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