Lausitzer Rundschau: Zum Tod von Bärbel Bohley / Nicht zu betrügen / Von Renate Marschall

Ob es ihr wohl gefallen hätte, als „Mutter der
Revolution“ bezeichnet zu werden? Wahrscheinlich nicht. Bärbel Bohley
war nie eine Frau der großen Worte. Wohl aber eine der klaren. Ihr
Verstand und ihr Herz waren nicht zu betrügen – nicht von Freund und
nicht von Feind. So ließ sie sich weder durch Repressalien noch durch
die Ausweisung aus der DDR davon abbringen, für demokratische
Freiheiten in jenem Land zu kämpfen, das sich Deutsche Demokratische
Republik nannte. Sechs Monate nach der Ausweisung kam sie zurück –
mit dem sicheren Gespür: Die Zeit ist reif. Mit diesen Worten war
auch der Gründungsaufruf des Neuen Forums überschrieben, das eine
Sammelbewegung all jener wurde, die die geistige Enge, die nur noch
gesellschaftlichen Stillstand gebieren konnte, zu durchbrechen
suchte. „Ich bin eigentlich ein friedlicher Typ. Ich weiß überhaupt
nicht, warum die Mächtigen solch eine Wut auf mich haben“, hatte
Bärbel Bohley 1988 in einem Spiegel-Interview gesagt. Weil in ihrer
Ruhe Selbstvertrauen lag, der Glaube daran, dass diese DDR
umzukrempeln ist. Dem eigenen Verstand vertrauen, war eine der
Botschaften, die von Bärbel Bohley immer ausging – ob sie am Runden
Tisch saß oder später fehlende Gerechtigkeit einklagte und sich einer
Vereinnahmung durch die Politik entzog. Sie verließ Deutschland und
kümmerte sich im vom Krieg zerstörten Bosnien um Kinder von
Flüchtlingsfamilien. So konnte sie zumindest ein bisschen
Gerechtigkeit im Kleinen herstellen. Das vor allem ist an Bärbel
Bohley zu bewundern: Sie war ein Mensch, der allen Verlockungen zum
Trotz sich selbst treu geblieben ist: kritisch, schnippisch und mit
messerscharfem Verstand, der dafür sorgte, dass immer mal wieder
jemand Wut auf sie hatte.

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