Maarten-Jan Bakkum Kolumne: Flaute in Brasilien

Die vergangenen zehn Jahre
markierten Brasiliens goldenes Jahrzehnt. Die strikte
haushaltspolitische Disziplin seit Ende der 1990er Jahre, die
deutliche Abwertung des Real während der Argentinienkrise und Chinas
wachsender Bedarf an Rohstoffen schufen ein für Konjunktur und
Aktienmärkte günstiges Umfeld. In den Jahren vor 2008 waren Zuwächse
um 5, 6 oder sogar 7 Prozent durchaus nicht ungewöhnlich. Zwischen
2002 und 2008 stieg der Wert des brasilianischen Aktienmarktes um das
Achtfache.

Letztes Jahr geriet der Wachstumskurs jedoch ins Stocken; die
Zuwachsrate liegt derzeit bei lediglich 3 Prozent. Auch die
Aktienkurse hinken den übrigen Schwellenländermärkten seit nunmehr
zwei Jahren hinterher. Ohne neue Reformen scheint der Schwung der
brasilianischen Wirtschaft jetzt erschöpft zu sein. Selbst die
anhaltend niedrigen Zinsen in den USA und Europa sowie die weiterhin
starke Rohstoffnachfrage Chinas reichen nicht zur Belebung der
lahmenden Wirtschaft am Zuckerhut.

Das Problem besteht vor allem darin, dass einerseits die
Staatsausgaben für Löhne, Gehälter und Renten zu hoch sind, die
Regierung aber andererseits das Produktivitätswachstum nicht mit der
gebotenen Entschlossenheit fördert. Wegen der Anbindung der Löhne und
Gehälter an den Verbraucherpreisindex, hoher Steuern und Zinsen sowie
der ausufernden Bürokratie liegt die Kostenbelastung für
brasilianische Unternehmen über der in den meisten anderen
Schwellenländern. Das Problem der „custo Brasil“, also der
Extrakosten, die der Wirtschaft zu schaffen machen, hat sich in den
vergangenen Jahren noch verschärft. Grund sind die Bemühungen der
Regierung, vorrangig das Wachstum anzukurbeln.

Das bedeutet, dass bereits jetzt klar ist, dass der Mindestlohn
2012 um 14 Prozent angehoben wird. Die Inflation ist mittlerweile auf
7 Prozent geklettert und liegt damit über dem offiziellen Zielwert
der Zentralbank. Sofern die Gehälter mit der Anhebung der
Mindestlöhne Schritt halten, ist ein Rückgang der Inflationsrate in
naher Zukunft so gut wie ausgeschlossen. In einem solchen Umfeld
verharren die Zinsen normalerweise auf einem hohen Niveau. Im
Ergebnis verteuert dies die Finanzierung der dringend benötigten
Infrastrukturinvestitionen ganz erheblich.

Seit ein paar Jahren vergibt die Regierung preiswerte Darlehen
über die nationale Investmentbank. Anstatt zur Inflationsbekämpfung
die Leitzinsen zu erhöhen, hat die Zentralbank die Zinsen seit
letztem Sommer sogar zweimal gesenkt. Die Geldpolitik ist immer
stärker von Opportunismus geprägt und die Unabhängigkeit der
Zentralbank dadurch deutlich angekratzt.

Durch die zunehmend interventionistische und weniger berechenbare
Wirtschaftspolitik leidet auch Brasiliens Attraktivität als
Anlageziel. In einer Welt, in der der Risikoappetit – vor allem im
Zuge der Krise im Euro-Raum – deutlich schwindet, wird dies
unweigerlich Konsequenzen haben. Eine anhaltend hohe Inflation und
ein wirtschaftspolitischer Schlingerkurs könnten den Real
nachdrücklich schwächen. Für Aktienanleger sind das keine günstigen
Aussichten. 2012 wird daher wohl das dritte Jahr in Folge sein, in
dem der brasilianische Aktienmarkt weit hinter den anderen Emerging
Markets zurückbleibt.

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