Mittelbayerische Zeitung: Abgasarm und visionsfrei / Von Claudia Bockholt

Continental schließt sein Werk in Roding,
Krones baut Stellen ab, BMW kehrt zur – schlechter bezahlten –
35-Stunden-Woche für alle zurück und plant, frei werdende Stellen
nicht mehr nachzubesetzen: Die Hiobsbotschaften aus den
Konzernzentralen häufen sich in den letzten Wochen. Wirklich
überraschend ist das nicht. Schon seit 2018 sagten
Wirtschaftsexperten eine konjunkturelle Delle voraus. Manche wagten
sogar, das aus dem deutschen Wortschatz fast verschwundene Wort
„Rezession“ in den Mund zu nehmen. Und zumindest für die wichtigsten
Industrien in Deutschland hat sich das leider nicht als Übertreibung
herausgestellt. Die Automobilindustrie und der Maschinenbau haben
erheblich an Kraft verloren. Die Hersteller blicken mit Sorge in ihre
ausgedünnten Auftragsbücher. Die Beschäftigten dieser Branchen wissen
schon lange, dass sich dunkle Wolken über ihnen zusammenbrauen. Man
hörte es seit Monaten in Gesprächen. Die Politik hat aber offenbar
wichtigere Klima-Ziele als die konjunkturelle Großwetterlage. Selbst
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sorgt sich vor allem um die
CO2-Ziele der Bundesregierung und weniger um die
Beschäftigungssicherung in Deutschland. Zumindest hat er sich zu den
besorgniserregenden Konjunkturdaten in den letzten Wochen nicht zu
Wort gemeldet. Stattdessen grübelt er über einer milliardenschweren
Stiftung für den Klimaschutz. Die Erderwärmung zu stoppen, ist
selbstredend ein wichtiges Thema. Die Vereinten Nationen laborieren
ja bereits seit 1995 an verbindlichen gemeinsamen Zielen. Seither gab
es Resolutionen, Absichtserklärungen und enttäuschte Erwartungen. 24
Jahre sind ins Land gegangen und wenig ist geschehen. Mit Greta
Thunberg hat die Debatte Drive bekommen. Die Bundesregierung will bis
2030 die Treibhausgase um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990
verringern. Dafür sei allerdings ein „Wandel in unserer Lebens- und
Wirtschaftsweise“ nötig, heißt es in der Präambel ihres Klimapakets.
Wie der ganz konkret aussehen soll, erfahren wir nicht. Ein paar
Fragen müssen daher erlaubt sein: Wie viel Idealismus und tapferes
Voranschreiten kann sich ein Land leisten, das in einem knallharten
weltumspannenden Wettbewerb steht? Politiker und Gewerkschaften
werfen den Autobauern vor, den Abschied von den Verbrennungsmotoren
verschlafen zu haben, prangern Managementfehler an. Doch niemand weiß
bisher mit letzter Sicherheit, mit welchen Motoren die Welt in 50
Jahren fahren wird. Und wieviel Planungshoheit bleibt CEOs, wenn
Strafzölle, Handelskriege und Brexit jedes Business zum
unberechenbaren Risikogeschäft machen? Einer, der uns in dieser
Hinsicht viel Ärger einbrockt, ist US-Präsident Donald Trump. In
Europa herrscht Fassungslosigkeit über sein Gebaren. Doch die
US-Wirtschaft brummt, in seinen Stammwählergebieten sind neue Jobs
entstanden. Trump hat weiterhin überzeugte Anhänger. Und das ist es
am Ende, was den Menschen am wichtigsten ist: Ein Job und genug auf
dem Lohnzettel, um die Miete zu bezahlen. Auch die IG Metall sagt,
dass für die Belegschaften die Beschäftigungssicherung in jedem Fall
an oberster Stelle steht. Da nimmt man bei BMW vielleicht auch
Abstriche an den in den fetten Jahren großzügig ausgeschütteten Boni
in Kauf. Schön, wenn ein Unternehmen sparen kann, indem es
freiwillige Leistungen kürzt. Doch in vielen Fällen wird das nicht
reichen. Die Produktion eines Elektroantriebs erfordert nur ein
Zehntel der Menschen, die es für einen Verbrenner braucht. Visionen
für das Weltklima sind eine gute Sache. Doch wir brauchen dringend
auch Visionen für die Menschen, die irgendwann in einem
emissionsärmeren Deutschland auf der Straße zu stehen drohen.

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