Die arabische Welt ist im Aufruhr – und der
Westen weiß nicht, wie er darauf reagieren soll. Verbal grenzt man
sich von den Alleinherrschern und Diktatoren ab, aber das geschieht
im verschämten Wissen darum, dass man Gaddafi , Mubarak, Ben Ali und
andere Potentaten jahrelang hofiert hat. Das geschah – realpolitisch
gesehen – aus gutem Grund. Nordafrika und der Nahe Osten liefern seit
Jahrzehnten verlässlich Öl. Die Herrscher unterdrückten schon aus
purem Eigeninteresse die bei uns so gefürchteten moslemischen
Fundamentalisten. Noch dazu verhinderten sie, dass Europas Südküsten
von Flüchtlingen aus Afrika überschwemmt wurden. Die rhetorischen
Ausfälle gegenüber Israel nahm man nicht weiter ernst, sie wurden ja
auch eher zur Beruhigung der arabischen Volksmassen eingesetzt.
Jahrzehnte vorher blickte Europa mit viel mehr Besorgnis nach Süden.
Nach dem Ende der Kolonialzeit setzten sich in vielen Staaten
Nordafrikas und des Nahen Ostens in den 50er und 60er Jahren
revolutionäre Kräfte durch. Die Befreiungskämpfer in Algerien, der
charismatische ägyptische Präsident Nasser oder das Regime im
Südjemen pflegten enge Beziehungen zur Sowjetunion, sozialistische
Ideen schienen den arabischen Raum zu durchdringen. In Syrien und im
Irak setzten sich mit der Baath-Partei brutale säkulare Kräfte durch,
die die noch von Kolonialherren eingesetzten oder geförderten
Herrscher stürzten. Viele Araber begeisterten sich an panarabischen
Ideen, träumten von einem Land vom Atlantik bis zum Persischen Golf.
Ägypten und Syrien schlossen sich ein paar Jahre lang zu einem Staat
zusammen. Das Libyen Gaddafis vereinigte sich vorübergehend einmal
mit Tunesien und dann wieder kurze Zeit mit Ägypten. Mit Sorge
blickte der Westen auf diese Unruhezone – bis sich herausstellte,
dass die revolutionären Herrscher zwar Ideologien predigten, aber
letztlich meistens pragmatisch an ihr eigenes Wohlergehen dachten. In
Ägypten, und Libyen standen die Söhne von Mubarak und Gaddafi als
Erben bereit. In Syrien konnte Präsidentensohn Bashar al-Assad 2004
die Nachfolge antreten. Den Völkern ging und geht es nicht gut, aber
die Staaten waren wieder berechenbar. Nur zu gerne ignorierte der
Westen die Schattenseiten dieser Herrschaft. Als in Algerien in den
90er Jahren die Islamisten bei Wahlen Mehrheiten eroberten, sah der
Westen großzügig darüber hinweg, dass das etablierte Regime mit
brutaler Gewalt sich dieser Konkurrenz entledigte. Einen Sonderfall
stellten und stellen die Monarchien im arabischen Raum dar. In
Jordanien gilt der König angesichts der starken Präsenz von
Palästinensern als Garant für die Einheit des Landes. Der König von
Marokko vereinigt in seiner Person weltliche und religiöse Macht. Die
Herrscherfamilie in Saudi-Arabien steht in enger Verbindung mit der
wahabitischen Bewegung. Die Religionsgelehrten unterstützten die
Herrscher und der Staat achtet im Gegenzug darauf, dass die besonders
strengen Regeln dieser sunnitischen Glaubensrichtung im Land beachtet
werden. Solange Saudi-Arabien aber zuverlässig Öl liefert schert der
Schleierzwang den Westen wenig, während die Burka in Afghanistan als
Zeichen der Unterdrückung gilt. Man hat vielmehr Angst, dass die
Welle des Aufruhrs auch die Golfstaaten erschüttert. Keiner weiß aber
, wie diese revolutionäre Bewegung sich weiterentwickeln wird. Die
zahlenmäßig starke Jugend scheint kaum berechenbar, von welcher
Zukunft träumt sie? Kommt es zu einem neuen panarabischen Aufbruch,
sind die Moslembrüder immer noch stark, brechen sich revolutionäre
Ideen Bahn? Entscheidend wird wohl sein, welchen Weg Ägypten
einschlägt. Das Land am Nil ist aufgrund seiner großen Bevölkerung,
seiner militärischen Stärke und seiner zentralen geografischen Lage
die natürliche Vormacht im arabischen Raum. Doch in Kairo ist kein
neuer Nasser in Sicht. Die Ungewissheit wird daher wohl noch einige
Zeit andauern.
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