Jetzt haben wir es zumindest halbamtlich: Armut
macht die Menschen immer kränker. Billiglöhne, Niedrigrenten oder der
dauerhafte Bezug von Hartz-IV-Leistungen können zu schweren 
Gesundheitsschäden und zu vorzeitigem Ableben führen. Auch wenn das 
Bundesarbeitsministerium wegen der „Belastbarkeit“ des 
Zahlenmaterials herumeiert – hinter den statistischen Angaben, die 
die schwarz-gelbe Koalition auf eine Anfrage der Linkspartei 
herausrückte, verbirgt sich ein handfester politischer und 
gesellschaftlicher Skandal. Und weit mehr noch stellt das 
Datenmaterial einen hochbrisanten Zündsatz dar, der die 
Gerechtigkeitsdebatte neu befeuern wird. Denn seit langem ist 
bekannt, dass die Höhe des Einkommens sowie der Bildungsgrad stark 
die Gesundheit und die Sterblichkeit beeinflussen. Je höher beides 
ist, desto älter werden die Bundesbürger und desto seltener werden 
sie auch krank. Seltsam, dass sich darüber bislang nur wenige Sozial-
und Gesundheitspolitiker öffentlich geäußert haben. Insgesamt 
betrachtet ist die Lebenserwartung in Deutschland Jahr für Jahr 
stetig gestiegen – seit 1960 um rund zehn Jahre. Noch nie hatten 
Frauen und Männer hierzulande bessere Chancen, ihren 80. oder 90. 
Geburtstag zu feiern, als im angehenden 21. Jahrhundert. Nur nicht 
für eine Bevölkerungsgruppe – die Geringverdiener. Denn seit zehn 
Jahren sind Niedriglöhner und prekär Beschäftigte auf dem Vormarsch. 
Und nicht nur die Armut macht krank, sondern auch Arbeit, für die es 
kaum Wertschätzung gibt. Wenn jetzt erstmals festgestellt wird, dass 
die Lebenserwartung bei den sozial Schwachen sogar zurückgegangen ist
– seit 2001 um zwei Jahre – überrascht das nicht. Wer die Schuld für 
Gesundheitsprobleme allein bei den Betroffenen sucht – ungesunde 
Ernährung, Tabak, Alkohol – macht es sich zu einfach. Denn wer wenig 
Geld hat, kann sich nicht im Bio- oder Feinkostladen versorgen. Wer 
sich von Job zu Job durchhangeln muss, steht permanent unter 
psychischem Druck. Wer trotz Arbeit große finanzielle Sorgen hat, 
betäubt seine Sorgen eher mit Alkohol oder Zigaretten, als ein 
Gutverdiener mit einem sicheren Arbeitsplatz. Wir haben eines der 
besten Gesundheitssysteme der Welt. Doch so unterschiedlich der 
Reichtum in unserer Gesellschaft verteilt ist, so verschieden ist 
auch die Teilhabe an den Segnungen des Systems. Wer Angst um seinen 
Job hat, lässt sich seltener krankschreiben und geht auch seltener 
zum Arzt. So werden diese Leute vom medizinischen Fortschritt 
abgekoppelt und haben höhere Krankheitsrisiken. Ein Spitzenbeamter 
wird sich dagegen nie die Frage stellen, wegen der Praxisgebühr einen
Arztbesuch zu schwänzen. Und ein Angestellter wird kaum wegen einer 
Arzneizuzahlung auf ein Medikament verzichten. Manager wie 
Professoren gehen im Normalfall regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung, 
um nicht krank zu werden. Aber auch, um ihre Arbeitskraft und damit 
ihr Einkommen zu erhalten. Sozial Benachteiligte aber, die jeden Tag 
neu nach einem Lebensinhalt suchen, setzen oft ganz andere 
Prioritäten und denken in kürzeren Zeiträumen. Bei diesem Vergleich 
ist eines besonders wichtig: Die Frage, wie gesundheitsbewusst wir 
als Erwachsene leben, wird bereits in der Kindheit geprägt. Hier sind
sich zumindest die Experten einig. Nicht nur Armut und Reichtum 
werden von Generation zu Generation vererbt, sondern auch ein kurzes 
oder ein langes Leben. Wer weiter den Sinn von Mindestlöhnen infrage 
stellt, sollte dies bedenken. Wer zusätzliche „Eintrittsgebühren“ für
den Arztbesuch fordert, sollte sich der dramatischen Konsequenzen für
die Armen bewusst sein. Und wer über künftige Bildungsreformen 
debattiert, sollte endlich Gesundheit als Pflichtfach fordern.
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