Für einen echten Neuanfang mit dem Westen ist
Putin schon zu lange im Amt. Dennoch gibt es einen guten Grund, die
Zukunft nicht aus den Augen zu verlieren.
Wladimir Putin ist mit viel Pomp und Kreml-Gloria in seine vierte
Amtszeit gestartet. Zumindest außerhalb Russlands hat das Interesse
an den Routinen Putinscher Herrschaftsausübung allerdings spürbar
nachgelassen. Ob es sich um die glamourösen Zeremonien des ewigen
Zaren Wladimir handelt, um manipulierte Wahlen oder den nackten
Körperkult des russischen Obermachos: Kaum einer schaut noch hin, sei
es fasziniert oder angewidert. Dabei haben die brutalen Bilder des
vergangenen Wochenendes gezeigt, wie wichtig es ist, weiter
hinzusehen. Wenn Polizisten hemmungslos auf friedlich demonstrierende
Menschen einprügeln, dann sollte man das wenigstens zur Kenntnis
nehmen. Wer die Augen vor der Gewalt nicht mutwillig verschließt, wie
das gerade in Deutschland viele Putin-Verteidiger auf der äußeren
Linken und Rechten leider tun, wird beim Hinsehen schnell erkennen:
Besserung ist in Russland nicht in Sicht, nirgends. Putin hat seine
Entscheidung getroffen, die EU und den Westen insgesamt als Gegner,
wenn nicht als Feind zu betrachten. Und er wird von seiner
Überzeugung auch nicht mehr ablassen, dass dieser Westen ihm
persönlich und Russland im Allgemeinen Böses will. Dazu ist er schon
zu lange im Amt. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es gibt
durchaus nachvollziehbare Gründe dafür, dass Putin so desillusioniert
und verächtlich über den Westen denkt, wie er es wiederholt zu
Protokoll gegeben hat. Man erinnere sich an den Irak-Krieg, der mit
einer schamlosen Lügenkampagne vorbereitet wurde. Wenig später
tauchten erste Pläne für einen US-Raketenschild in Polen und
Tschechien auf. Hinzu kam die oft dilettantische und mitunter
ignorante Osteuropa-Politik von EU und Nato. Besonders die Art und
Weise, wie die westliche Staatengemeinschaft ihre Erweiterung nach
Osten durchgesetzt hat, zeugte von einer Arroganz, die in Russland
nach der Niederlage im Kalten Krieg tiefe Enttäuschung auslösen
musste. Selbstverständlich hätten EU und Nato dem Kreml kein Veto
einräumen und dadurch das Recht auf freie Bündniswahl souveräner
Staaten untergraben sollen. Aber man hätte viel intensivere Versuche
unternehmen müssen, Russland bei der Neuordnung des alten Kontinents
einzubinden. All das kann und sollte man zu Putins Gunsten durchaus
benennen. Allerdings lässt sich daraus keinerlei Rechtfertigung für
seinen diktatorischen Herrschaftsausbau im Innern und seine
aggressive Außenpolitik samt Krim-Annexion ableiten. Unter dem Strich
stehen Russland und der Westen deshalb zu Beginn von Putins vierter
Amtszeit an einem Punkt, der eigentlich – wieder einmal – nach einem
Reset verlangt, nach einem Neustart. Einen echten Neuanfang wird es
mit Putin als Präsident aber nicht mehr geben. Aus überlangen
Herrschaftszeiten resultiert fast immer ein Machtstarrsinn, der neues
Denken unmöglich macht. Putin und seine Gegenüber im Westen werden
jenes Vertrauen schlicht nicht mehr aufbringen können, das nötig
wäre, um einen ehrlichen Ost-West-Ausgleich anzustreben. In den
kommenden Jahren wird es deshalb besonders wichtig sein, Russland mit
Ruhe, Entschlossenheit und Ausdauer entgegenzutreten und dabei nicht
die Zukunft aus den Augen zu verlieren. Denn irgendwann endet selbst
die längste Ära. Wer aber Einfluss auf die künftigen Beziehungen zu
Russland nehmen will, der darf die Verbindungen im Hier und Jetzt
nicht kappen. Das mag sich abstrakt anhören, lässt sich aber konkret
durchbuchstabieren. Die Krim-Annexion darf nicht akzeptiert werden.
Die Sanktionen müssen gelten, bis die Gründe entfallen. Zugleich
bleibt es alle Anstrengungen wert, Kriege und Konflikte wie in Syrien
durch immer neue diplomatische Initiativen zu entschärfen.
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