Mittelbayerische Zeitung: Die FDP fährt Achterbahn

Von Stefan Stark

Die Steuerleute verlassen das sinkende Schiff: In schwerer See und
bei Windstärke 12 springt der FDP-Generalsekretär von Bord. Der
Rücktritt von Christian Lindner schlägt wie ein krachender
Kanonenschlag auf dem Deck der Partei ein. Denn neben der
Existenzkrise haben die Liberalen jetzt auch noch eine handfeste
Führungskrise am Hals. Gemessen an seinen großen rhetorischen
Fähigkeiten fiel die Erklärung von Christian Lindner für seinen
spektakulären Schritt knapp und dürr aus. Umso vielsagender ist das,
was zwischen den Zeilen seines Statements steht. Und umso
aufschlussreicher ist der Zeitpunkt dafür. Drei Tage nach dem von
Parteichef Philipp Rösler vom Zaun gebrochenen Streit um die
Mitgliederbefragung des Euro-Rebellen Frank Schäffler und zwei Tage
vor Bekanntgabe des Resultats streckt der FDP-General die Fahnen.
Dieses Timing ist kein Zufall. Man kann es durchaus als kräftigen
Tritt ans Schienbein des Parteivorsitzenden interpretieren. Denn was
Rösler am Wochenende aufführte, wirkt wie der traurige Höhepunkt der
Inszenierung einer Laienspielgruppe aus politischen Leichtmatrosen.
Anfangs verurteilt die FDP-Spitze die Mitgliederbefragung. Den
Initiator Schäffler stellt man in die Ecke des Querulanten und
Exoten. Dann, als sich die Partei und zunehmend auch die
Öffentlichkeit für das Quorum interessiert, wird es als
basisdemokratische Errungenschaft begrüßt. Und schließlich ruft sich
Rösler zum Sieger der Abstimmung aus, obwohl sie noch zwei Tage
läuft. Sollte dem FDP-Generalsekretär bei dieser politischen
Achterbahnfahrt schlechtgeworden sein – man könnte es gut
nachvollziehen. Röslers vorschnelle Feststellung mag ein Ausdruck
dafür sein, wie sehr die Nerven inzwischen blank liegen. Doch bei
vielen in der eigenen Partei wird sie als schwerer und
unverzeihlicher Fehler wahrgenommen. Ein wirklich souveräner
Vorsitzender hätte cool und schweigsam abgewartet. Erst nach
Bekanntgabe des Ergebnisses hätte er sich geäußert – diplomatisch und
versöhnlich. Indem Rösler bereits am Sonntag Schäffler zum Verlierer
stempelte, hat er automatisch auch die mindestens 16 000
Euro-skeptischen Mitglieder ausgegrenzt. Damit schadet sich Rösler
gleich doppelt: Ihm selbst wird der Umgang mit der
Mitgliederbefragung als Führungsschwäche ausgelegt werden. Dieser
Makel wird ihm lange anhaften. Außerdem stilisiert er den
Parteirebellen auch noch zum Märtyrer hoch. Um den Schlamassel
auszubaden, wurde Lindner vorgeschickt. Im Gegensatz zum Parteichef
ist es zwar die Aufgabe des Generalsekretärs, als Krisenfeuerwehr
notfalls die Dinge zuzuspitzen und zu polarisieren. Doch anstatt die
Kastanien aus dem Feuer zu holen, goss Lindner Öl hinein, indem er
Schäffler als „Cameron der FDP“ abkanzelte. So haben Lindner und
Rösler es gemeinsam geschafft, dass in den Mitgliederentscheid vieles
hineiniterpretiert wird, was man sich eigentlich ersparen wollte. Das
Quorum wird jetzt eine Abstimmung über den Parteivorsitzenden. In
seiner Rücktrittserklärung sprach Lindner vom Moment, in dem man
seinen Platz freimachen müsse, um eine neue Dynamik zu ermöglichen.
Daraus spricht tiefe Resignation. Vielleicht waren die eigenen
Ansprüche zu hoch geschraubt, das Tempo, mit dem man in die
Erfolgsspur zurückwollte, zu rasant. Der einstige Hoffnungsträger hat
die Hoffnung verloren, dass die Partei in absehbarer Zeit aus ihrem
Tief kommt. Das ist einerseits das Eingeständnis des eigenen
politischen Scheiterns. Für einen Spitzenpolitiker, der erst am
Anfang seiner Karriere steht, ist es aber auch ein äußerst mutiges
Bekenntnis. Für diese Ehrlichkeit gebührt Lindner Respekt.

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