Mittelbayerische Zeitung: Die Linke zerlegt sich selbst

Von Reinhard Zweigler

Göttingen ist nicht Mannheim. Heißt es bei der Linken. Was so viel
heißen will wie: eine Wiederholung des Handstreichs von Oskar
Lafontaine auf dem SPD-Parteitag 1995 in Mannheim wird es am nächsten
Wochenende auf dem Kongress der Linkspartei in Göttingen nicht geben.
Seinerzeit hatte der Saarländer den amtsmüden SPD-Chef Rudolf
Scharping mit einer begeisternden Rede vom Thron gestoßen. Das
Parteivol jubelte Lafontaine zu. Seine Wahl war dann nur noch
Formsache. Geschichte wiederholt sich nicht. Oder vielleicht doch?
Die Links-Partei ist nach den Grünen vor über 30 Jahren erst das
zweite Parteiprojekt, das sich bundesweit etablieren konnte. Die
Existenz der Linken ist einem politischen Sonderfall geschuldet. Die
vorwiegend ostdeutsche SED-PDS vereinte sich im Widerstand gegen die
Agenda-2010-Reformen von Gerhard Schröder mit der vorwiegend
westdeutsch geprägten WASG. Dass man 2009 mit fast zwölf Prozent in
den Bundestag einzog, hat sicher auch damit zu tun, dass sich die
Linke als die Protestpartei gegen die anderen Bundestags-Parteien und
die Regierung sowieso verstand. So wurde sie lange auch wahrgenommen.
Nein zu Hartz IV, Nein zur Bundeswehr in Afghanistan, Nein zu Euro-
und Bankenrettung von Merkel und Sarkozy. Doch die anfängliche
Anziehungskraft der Nein-Partei hat arg gelitten. Sie flog zuletzt in
kurzer Folge aus zwei westdeutschen Landtagen, büßte in Berlin die
Regierungsbeteiligung ein. Und selbst im Saarland, dem Heimatland des
Linken-Übervaters Oskar Lafontaine, verlor sie kräftig an
Wählerzustimmung. Im Osten freilich hat sich die Nachwende-SED fest
als politische Größe etabliert. In Thüringen erreichte sie zuletzt
sogar sieben Oberbürgermeister und Landratsposten. Die Linke hatte
sich erstmals mit der dortigen SPD gegen die CDU verbündet. Eine
Partei im Osten hui, im Westen pfui. Zurzeit arbeitet die Linke mit
Wollust daran, sich selbst zu zerlegen. Ihre jetzige Mailaise hat mit
den unterschiedlichen Protagonisten zu tun. Der „Napoleon von der
Saar“ etwa will die siechende Partei nur retten, wenn die ihm
gleichsam die Krone auf einem Silbertablett serviert. Einen Vorstand
von Lafontaines Gnaden, hatte der sich ausbedungen. Das war den
Reformern um Fraktions-Vize Dietmar Bartsch allerdings zu viel. Und
in den Ost-Verbänden der Linken schüttelt man den Kopf über die
Fundi-Linken in vielen West-Verbänden. In der Linken ist politisch
und menschlich nicht zusammengewachsen, was eigentlich zusammen
gehörte. Seit Lafontaines knurrigem Rückzug von einer Kandidatur
schießen dessen Anhänger umso kräftiger gegen Bartsch. Der neuste
Coup, um den Reformer zu verhindern, ist eine weibliche Doppelspitze.
Auch wird Lafontaines Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht, einst
ultralinke Ikone und inzwischen beachtete Kapitalismus-Kritikerin,
aufs Schild gehoben. Freilich steckt hinter den Personalquerelen der
Linken zuerst ein handfester Richtungsstreit. Soll die Partei à la
Bartsch fürs Mitregieren an der Seite von SPD und Grünen umgemodelt
werden, oder gefällt sie sich in Fundamental-Opposition à la
Lafontaine und Wagenknecht? Diese strategische Grundsatzfrage wird
voraussichtlich auch der Göttinger Parteitag nicht klären. Egal, wer
die Linke führen wird, sie bleibt eine Partei im Niedergang. Die
flotten Piraten haben längst ihren Platz als Protestpartei
eingenommen. Und die SPD nimmt der Linken mit ihrer
Agenda-2010-Abkehr den Wind aus den Segeln.

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