Mittelbayerische Zeitung: Ein gefährliches Spiel

Von Jochen Wittmann

Es ist ein gefährliches Spiel, das der britische Premierminister
spielt. David Cameron hat die Tür zu einem Austritt aus der EU weit
aufgestoßen, nachdem er den Briten ein Referendum versprach. Und
vielleicht werden seine Landsleute hindurchgehen. Obwohl er es selbst
gewiss nicht will: In knapp fünf Jahren könnte David Cameron als der
Premierminister in die Geschichtsbücher eingehen, der sich bei einer
nationalen Schicksalfrage heillos verzockt hat. Dabei ist sein
zentrales Argument nicht so leicht von der Hand zu weisen. Wenn
massive Änderungen in der Eurozone anstehen, ist es nur recht und
billig, wenn dabei auch die Interessen der Nicht-Euroländer
gewährleistet bleiben. Denn auch die gehören zum Binnenmarkt und
brauchen gewisse Garantien und Zusicherungen, um zu verhindern, dass
der Euro-Block Entscheidungen durchboxt, die sie benachteiligen
würden. Die EU ist schon lange eine Union von Nationen mit variabler
Integrationswilligkeit. Es ist Zeit, sagt Cameron, dieses Europa der
zwei Geschwindigkeiten von Grund auf zu durchdenken. Eine Lösung muss
gefunden werden, die die Interessen von Kerneuropa und Randeuropa
ausbalanciert. Ob sein Argument auf der anderen Seite des Ärmelkanals
auch freundlich aufgenommen wird, darf bezweifel werden. Läuft doch
Camerons Forderung nach einem „neuen Verhältnis“ und der
„Repatriierung nationaler Kompetenzen“ auf nichts weniger als die
Nachverhandlung bestehender Verträge hinaus. Und wenn man diese
Büchse der Pandora öffnet, so die Befürchtung, dann verlangt bald
jeder Mitgliedsstaat seine eigenen Extrawürste, und mit der Union ist
es vorbei. Ein „Rosinenpicken“, ein „Europa à la carte“ will man
nicht zulassen. Noch ist unklar, welche Kompetenzen im Einzelnen
Cameron zurück ins Königreich holen will, denn er hat es bei seiner
Grundsatzrede tunlichst vermieden, eine Einkaufsliste vorzulegen. Ihm
geht es vor allem darum, jetzt eine Debatte anzustoßen, die in seinen
Augen unvermeidlich wird, weil Europa große Integrationsschritte
machen will. Und man muss ihm schon zugestehen: So unbequem es
manchen kontinentalen Regierungschefs auch sein mag, gebietet es doch
der demokratische Prozess, dass man seine Wähler auf dieser Reise
mitnehmen muss und in offener Diskussion die Wegmarken absteckt. Aber
eben auch im Königreich wird diese Debatte jetzt das politische Klima
der nächsten fünf Jahre bestimmen. Und das wird gefährlich, weil
Cameron deren Dynamik nicht kontrollieren kann. Alles ist möglich.
Umfragen zeigen ein völlig volatiles Wählerverhalten: Vor wenigen
Wochen gab es noch eine klare Mehrheit für den Austritt, im Moment
wäre eine knappe Mehrheit der Briten für den Verbleib in der EU.
Camerons eigene Konservative Partei freut sich darüber, dass man
jetzt klare Abgrenzungen zum politischen Gegner gezogen hat. Viele
seiner Fraktionskollegen werden ihr Bestes tun, um einem Austritt den
Weg zu bereiten und dürfen sich dabei der Unterstützung der
rechtskonservativen Zeitungen, einer mächtigen Meinungslobby, sicher
sein. Immerhin ist es beruhigend, dass neben Labour und den
Liberaldemokraten auch die Gewerkschaften, große Teile der Wirtschaft
und der City nichts von einem Austritt halten. Und dass der
Durchschnittsbrite schon wissen sollte, dass ihm das Hemd näher sitzt
als der Rock: Im nationalen wirtschaftlichen Interesse läge es
allemal, in der EU zu bleiben. Aber andererseits ist es alles andere
als sicher, dass das Königreich auch in fünf Jahren noch zur EU
gehören wird. Ein gefährliches Spiel.

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