Von Ulrich Krökel
Die Tschechen haben bei der ersten Direktwahl ihres
Staatspräsidenten ein Fest der Demokratie gefeiert. Nicht nur, dass
die Beteiligung mit rund 60 Prozent auf einem deutlich höheren Niveau
lag als erwartet. Vor allem stellten die Wähler selbst die klügsten
Prognosen auf den Kopf. Sie bewiesen damit einen erstaunlich reifen
politischen Eigensinn. Und es könnte sogar noch besser kommen, denn
in der ersten Runde fiel keine Entscheidung. In einer Stichwahl
stehen sich Ende Januar mit dem aristokratisch-konservativen
Außenminister Karel Fürst zu Schwarzenberg und dem linken Querdenker
Milos Zeman zwei ausgesprochen charismatische Politiker gegenüber.
Der spektakuläre erste Wahlgang war im Wortsinne verrückt. Die Bürger
rückten mit ihrer Stimmabgabe jenes schiefe Bild zurecht, das
Demoskopen und andere Experten gezeichnet hatten. Der parteilose
Ex-Premier Jan Fischer galt als klarer Favorit. Doch statt der
erwarteten 27 Prozent erhielt der einstige Chef des Zentralen
Statistikamtes nur gut 16 Prozent und wurde abgeschlagen Dritter
-durchgefallen. Dabei war Fischer der personifizierte Gegenentwurf
zum unbeliebten scheidenden Staatschef Vaclav Klaus, der nach zwei
Amtszeiten nicht mehr kandidieren durfte. Wiedergewählt hätten die
Tschechen den radikalen EU-Gegner und notorischen Provokateur ohnehin
nicht. Sie hatten längst genug von dessen politischen Eskapaden.
Dennoch erteilten die Tschechen auch dem farblosen Klaus-Kontrast
Fischer, der 2009 und 2010 eine durchaus erfolgreiche
Expertenregierung geführt hatte, eine klare Absage. Stattdessen fuhr
der mal grantelnde, mal gemütlich Pfeife rauchende Fürst zu
Schwarzenberg mit 23,4 Prozent fast dreimal so viele Stimmen ein wie
vorhergesagt. Als Konservativer pflegt er eine unorthodoxe Nähe zu
den Grünen. Vor allem aber steht Schwarzenberg für eine
proeuropäische Ausrichtung. Die kluge Botschaft der Wähler war damit
klar: Wir wollen einen dezidiert politischen Präsidenten auf der
Prager Burg, aber keinen Egomanen. Das belegt auch der zwiespältige
Erfolg von Milos Zeman, der mit 24,2 Prozent zwar die erste Runde für
sich entschied. Ein Durchmarsch blieb dem 68-Jährigen aber trotz des
Fischer-Debakels verwehrt. Zeman ist mit seinem schlagfertigen
Auftreten durchaus populär. Zudem vertritt er wie Schwarzenberg
gemäßigte proeuropäische Positionen. Mitunter aber sitzt bei Zeman
die Zunge so locker, dass er bei den Klaus-geschädigten Bürgern nicht
nur Sympathie, sondern auch Skepsis weckt. In der ersten Runde
entschieden sich deshalb deutlich mehr linke Wähler als erwartet
nicht für Zeman, sondern für den Sozialdemokraten Jiri Dienstbier.
Der Sohn des gleichnamigen Bürgerrechtlers vereinigte mit rund 16
Prozent doppelt so viele Stimmen auf sich als prognostiziert. Auch
dies ist als Zeichen der politischen Reife der Wähler zu lesen.
Jubeln dürfen über das Demokratie-Fest in Tschechien all jene, denen
die EU und die politische Kultur in Europa am Herzen liegen. Anders
als die Ungarn und die Rumänen, die autoritären Populisten wie Viktor
Orban und Viktor Ponta mit Zweidrittelmehrheiten fast
uneingeschränkte Regierungsvollmachten erteilten, streben die
Tschechen in die Mitte. Sie haben das Kunststück vollbracht,
charismatische, politisch profilierte und ein wenig populistische,
vor allem aber zuverlässige Kandidaten in eine Stichwahl zu schicken,
deren Ausgang mitreißend offen ist. Schwarzenberg und Zeman haben
erklärt, dass sie nach ihrer Amtsübernahme auf der Prager Burg neben
der tschechischen wieder die EU-Flagge hissen werden. Vaclav Klaus
hatte dies untersagt. Inmitten der europäischen Dauerkrise kommt
diesem Akt mehr als symbolische Bedeutung zu. Wenn das blaue Tuch mit
den goldenen Sternen wieder über der geschichtsträchtigen Kulturstadt
an der Moldau weht, wird dies auch ein Lebenszeichen des europäischen
Gedanken sein.
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