Von Christian Kucznierz
Ein US-Diplomat drückte es einmal so aus: Sicher ist, dass am 6.
November entweder Barack Obama gewinnt – oder Mitt Romney. Europa und
vor allem Deutschland zuckt bei dem Gedanken an letzteren verschreckt
zusammen. Doch dazu gibt es keinen Grund. Es ist nachvollziehbar,
warum wir gerne eine zweite Amtszeit Obamas sehen würden. Die meisten
Europäer haben diesem ersten Schwarzen im Weißen Haus einen ernormen
Vertrauensvorsprung entgegen gebracht, eben weil seine Politik,
gerade die im Sozialbereich, so anders klang – irgendwie so vertraut
europäisch, dass wir gerade nach den Bush-Jahren gewillt waren,
unsere Hoffnungen in Obama zu projizieren. Das zeigte sich nicht
zuletzt dadurch, dass er mit dem Friedensnobelpreis auszeichnet
wurde. Es war ein unglaublich hoher Anspruch, den wir an Obama
stellten. Das Problem ist nur, dass nicht wir den US-Präsidenten
wählen. Sondern die Amerikaner. Und die sehen die Obama-Jahre
vielfach ganz anders. Auch in den Vereinigten Staaten gab es diesen
Obama-Hype, der durch sein Versprechen auf Wandel ausgelöst worden
war. Heute, vier Jahre später, ist von dem Versprechen aber nicht
mehr viel geblieben. Die Arbeitslosenquote ist immer noch nur knapp
unter der psychologisch wichtigen Marke von acht Prozent. Sie ist
sogar wieder höher als bei seinem Amtsantritt. Die Staatsschulden
sind unter Obama auf über 16 Billionen Dollar geklettert. Über den
Erfolg in der Wirtschaftspolitik herrschen je nach
Parteizugehörigkeit unterschiedliche Lesarten zwischen Demokraten und
Republikanern. Sicher, Obama kann sich den Abzug der US-Truppen aus
dem Irak auf die Fahne schreiben, das Aufspüren und die Tötung von
Top-Terrorist Osama bin Laden ebenso. Und auch sein Versprechen, die
Krankenversicherung auf bisher nicht versicherte Amerikaner
auszuweiten, hat er erfüllt – bis auf Widerruf. Das seit Wochen
andauernde Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Obama und Romney belegt aber,
dass es ganz offensichtlich ebenso viele Obama-Befürworter wie
-Gegner gibt. Dasselbe gilt für Romney. Amerika tut sich ganz
offensichtlich schwer zu entscheiden, wer die richtigen Rezepte
bereithält. Obama und Romney stehen dabei allerdings für radikal
unterschiedliche Politik- und Gesellschaftsmodelle. Beiden gemeinsam
aber ist ein wichtiger Punkt: Niemand kann sagen, ob und warum das
eine oder das andere Modell Erfolg haben wird. Die politischen Lager
in den USA müssen erkennen, dass die notwendige Neuerfindung des
Landes nicht ohne eine gemeinsame Vision gelingen kann. Obama hatte
dies einst versprochen. Er wollte die Gräben zwischen den Parteien
zuschütten. Er ist mit diesem Versprechen Präsident geworden. Romney
hat diese Taktik übernommen: Schluss mit Polarisierung, lautet sein
neues Credo. Nachdem seine Partei monatelang die Gräben mit ausheben
half, die das Land innenpolitisch teilten, hat er offenbar erkannt,
dass er damit allein die Wahl nicht gewinnen kann. Ob er sein neues
Versprechen, Amerika zu einen, umsetzen könnte, ist fraglich. Obama
hat es schließlich auch nicht geschafft. Für uns Europäer wird es
wenig Unterschied machen, wer im Weißen Haus sitzt. Wir würden Mitt
Romney vielleicht kritischer beäugen als Barack Obama. Einen Wandel
der transatlantischen Beziehungen können sich weder Deutschland, noch
die EU oder die USA erlauben. Auch Romneys Säbelrasseln gegenüber
China wird im Fall seiner Wahl schnell verstummen. Aber für die
Amerikaner wird der Wahlausgang den innenpolitischen Kurs der
kommenden Jahre bestimmen. Dabei würde eine Fortsetzung des Kurses
von Barack Obama weiterhin für Kontroversen und Blockaden sorgen,
ebenso wie ein Kurswechsel unter Mitt Romney neue Fronten eröffnen
und alte vertiefen würde. Für die Menschen in den USA muss dieser
Wahlkampf und sein zu erwartendes knappes Ende ein Zeichen sein, dass
in ihrem Land zwei Wertvorstellungen, zwei Gesellschafts- und
Wirtschaftsmodelle frontal aufeinander prallen – und dass dieser
Konflikt irgendwann gelöst werden muss. Es war immer ein Markenkern
der USA, sich nach Krisen neu erfinden zu können. Dafür aber braucht
es Kompromissfähigkeit. Es ist diese Eigenschaft, die dem politischen
Amerika heute fehlt. Sie neu zu erfinden, muss Aufgabe des nächsten
Präsidenten sein. Egal, wie er heißt.
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