Von Jürgen Scharf
In zehn Monaten wird in Bayern gewählt. Es ist legitim, dass sich
die Parteien bereits jetzt in Stellung bringen. Schade ist nur, dass
die Gier nach Wählerstimmen scheinbar die Sinne vernebelt. Oder, was
noch schlimmer wäre, dass man sich bewusst auf pseudo-populäre Themen
stürzt. Der Eiertanz, den etwa die Regierungskoalition im Landtag
zuletzt um die Verkaufsregelungen an Tankstellen und das Tanzverbot
an stillen Feiertagen machte, ist ein Kasperltheater. Bayern hält
sich immer noch an das 1956 (!) erlassene Bundesladenschlussgesetz.
Während andere Bundesländer eigene Regelungen erließen, kümmerte sich
im Freistaat über fünf Jahrzehnte lang niemand um eine
Gesetzesänderung. Dann gab es 2011 ein Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts. Seither durften an bayerischen Tankstellen
ab 20 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen Konsumgüter nur in kleinen
Mengen und ausschließlich an Autofahrer verkauft werden. Dies ging
eineinhalb Jahre lang so. Viele Bürger waren außer sich. Von einem
Schildbürgerstreich war die Rede, wenn dem Radfahrer die Flasche
Wasser verweigert wird. Das Ladenschlussgesetz wurde in Bayern aber
wieder nicht reformiert. Ministerpräsident Horst Seehofer kündigte in
einem Interview stattdessen salopp eine „bayerisch-vernünftige
Lösung“ an. Das hört sich gut an, die Leiter der kommunalen
Ordnungsämter stöhnten aber auf: bayerisch-vernünftig – was soll das
heißen? CSU-Sozialministerin Christine Haderthauer handelte. In einer
Nacht- und Nebelaktion rief sie einen runden Tisch mit Vertretern der
Tankstellen ein. Danach wurde sofort eine Lockerung des
Verkaufsverbots verkündet, die ein paar Tage später wieder
zurückgenommen werden musste, weil sich die Fraktionen übergangen
fühlten. Ein paar Tage später wurde dann ein neuer Kompromiss
verkündet. Der ist zwar von keinem Gesetz gedeckt – aber ein paar
Monate wird er dennoch halten, zumindest bis nach der Wahl. Und
völlig absurd wurde das Wechselspielchen beim Thema Nachtleben.
Ebenfalls über Jahrzehnte hinweg stand das Tanzverbot an stillen
Feiertagen für die CSU in Bayern nie ernsthaft zur Debatte. Im
Gegenteil, vor wenigen Jahren wurde das Feiertagsgesetz sogar
verschärft. Zehn Monate vor der Wahl hört es sich nun ganz anders an.
Man reagiere auf „veränderte Lebensgewohnheiten“, sagt Innenminister
Joachim Herrmann. Und vor allem muss das ganz schnell gehen. Als CSU
und FDP in den Fraktionen Ende Oktober eine Neuregelung beschlossen
hatten, wollten sie auf die Gesetzesänderung gar nicht mehr warten.
Allerheiligen – der Erzfeind der Tanzwilligen – war nahe. Party-Spaß
verspricht Stimmen. Eine Übergangssprachregelung musste her. Das
bayerische Innenministerium gab interessierten Gastwirten in etwa
folgende Auskunft: Schon zum 1. November können Kommunen eine
Ausnahmegenehmigung erteilen, sie müssen aber nicht, sie dürfen, wenn
sie wollen, et cetera … Die Kommunen selbst wussten davon freilich
gar nichts. Dass derlei Hauruckverfahren absurde Folgen haben können,
wurde etwa in Regensburg deutlich. Seit mehreren Jahren wurden dort
aufwendige Kampagnen gegen nächtliche Ruhestörer gefahren. Wenn es um
Sperrzeiten und Disco-Meilen ging, liefen die Anwohner Sturm. Nur mit
viel Mühe konnte immer wieder aufs Neue ein Burgfrieden geschlossen
werden. Als nun das Thema Tanzverbot entdeckt wurde, schickte die FDP
aber sogar einen Brandbrief an den Oberbürgermeister, mit der Bitte,
möglichst eilig zu entscheiden. Tenor: Es muss getanzt werden an
Allerheiligen. Die Stadt machte das Spiel nicht mit. Ohne Gesetz
keine Genehmigung, hieß es. Um nicht falsch verstanden zu werden:
Beim Tankstellen-Verkaufs- oder beim Tanzverbot mag es Pro und Kontra
geben und die Politik darf sich beizeiten gerne mit diesen Themen
beschäftigen. Es mag abgedroschen klingen, aber es gibt Wichtigeres
und Eiligeres. Jedem Tagestrend hinterherzulaufen, wird
gesellschaftlich auf Dauer nicht funktionieren – und hoffentlich auch
keine Stimmen bringen.
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