Mittelbayerische Zeitung: Keine Intrige

Von Julius Müller-Meiningen

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist weniger schweigsam als
erwartet. Immer wieder geht Joseph Ratzinger auch nach seinem
Rücktritt als Papst mit Grußworten oder Briefen an die
Öffentlichkeit. Franziskus selbst hat seinem Vorgänger dafür grünes
Licht geben. Bergoglio nennt Ratzinger den „weisen Großvater“ im
eigenen Haus. Es ist nicht verwunderlich, dass die aktuellen
Äußerungen des emeritierten Papstes interpretiert und
instrumentalisiert werden. Dabei ist aber unbedingt zu unterscheiden
zwischen dem unbegründeten Verdacht, Benedikt XVI. wolle auf den
Verlauf des Pontifikats seines Nachfolgers und den Weg der
katholischen Kirche insgesamt einwirken. Und der viel
wahrscheinlicheren These, dass seine Worte von anderen für deren
Zwecke eingespannt werden. Auch bei den jüngsten Irritationen um die
Neuauflage und Änderung des Ratzinger-Aufsatzes „Zur Frage nach der
Unauflöslichkeit der Ehe“ von 1972 ist das der Fall. Benedikt XVI.
mag zwar auch im Alter von 87 Jahren noch ein scharfsinniger Theologe
sein. Das Talent zur Intrige gegen seinen Amtsnachfolger hat er
nicht. Vielmehr ist der bemerkenswerte Meinungswandel des Autors
Joseph Ratzinger im Hinblick auf das Problem der wiederverheirateten
Geschiedenen einfachen Zwängen geschuldet. Der emeritierte Papst
wollte sich in einer aktualisierten Schrift nicht gegen das
gegenwärtig gültige Lehramt der Kirche stellen. Dass konservative
Kräfte diesen Umschwung nun als Argument gegen eine Änderung der
kirchlichen Praxis in der Frage der Kommunion für wiederverheiratete
Geschiedene werten könnten, steht auf einem anderen Blatt.

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